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Undercover - Operation Wintersonne
Entwickler: Sproing
Releasedatum: 09/2006
Publisher: dtp/AnacondaUSK: ab 12 Jahren
PEGI: 12+
Ein Review von slydos 16. Oktober 2006
Geschichte
Innerhalb des Adventuregenres ist die Untergattung 'Spionage' eher unterrepräsentiert. Undercover - Operation Wintersonne will etwas dagegen tun. Wie der Name schon sagt, geht es um das Einschleusen eines Agenten - hier ins Nazideutschland von 1943. Eingeschleust wird der britische Physiker Dr. John Russell, der zumindest was das Spionieren betrifft, relativ berufsfremd tätig werden muß. Russell ist nicht begeistert von seinem Einsatz, sieht es aber als seine Pflicht an, den Auftrag zu erledigen: er soll herausfinden, wie weit die Deutschen mit der Entwicklung der Uranbombe und eines Trägermechanismus fortgeschritten sind.
Ständig in der Gefahr entdeckt zu werden, begibt er sich nach Berlin und dann den Spuren folgend ins winterlich idyllische Haigerloch. Wie man sich denken kann, läuft die Mission nicht so reibungslos, wie Russell es sich wünschen würde. Als Begleiter wird ihm vom MI6-Chef Agent Graham zur Seite gestellt, doch in Deutschland angekommen, taucht auch noch Agentin Ann Taylor ungerufen auf. Nicht nur, daß er in die Hände einer Nazigröße gerät, die ein eigenes Süppchen kochen will, er wird außerdem den Verdacht nicht los, daß sich unter seinen Mittelsleuten auch noch ein Maulwurf befindet!Die Geschichte ist zwar bis zum Ende äußerst spannend inszeniert, doch wie bei anderen Adventures hapert's dann, die Sache richtig rund zuende zu bringen. Der Begriff 'knapp' würde dieses Piff-Paff-Wroom-Ende schon fast zu überschwenglich charakterisieren. Auch die Preview-Befürchtung, daß ein Teil der Erzählung zu durchsichtig angelegt sein könnte, hat sich bewahrheitet. Dummerweise kann ich jetzt kaum so richtig vom Leder ziehen, ohne den Inhalt zu verraten, aber glauben Sie mir, sobald Sie es spielen, werden Sie wissen was ich mit 'verräterischer Charaktergrafik' meine. Trotzdem gelingt es immer wieder, die Handlung in neue Richtungen zu stoßen, und den Spannungsfaden immer dann wieder durch Überraschungen anzuheben, wenn es nötig ist. Undercover wurde auf gut recherchiertem historisch-realistischem Hintergrund geerdet, bewegt sich dann inhaltlich gefährlich nah an den Rändern des annehmbar Erfundenen, schafft es aber doch letztlich gerade noch, der Fliehkraft der erzählerischen Steilkurve zu widerstehen.
Texte/Sprache
Was die Geschichte gänzlich aus der Gefahr eines allzu heldenhaften Weltrettungsblabla befreit, sind ihre Dialoge und Russels Kommentare. Ich nehme mal ganz einfach den Nachnamen des Hauptakteurs als eine Reminiszenz an meinen Lieblingsmathematiker Bertrand Russel, auch ein Brite. Sie meinen, Naturwissenschaft und Humor hätten nichts gemein? Na, zumindest bei Russel stimmt das nicht. Unser Held ist bisweilen erfrischend komisch. Zugegeben, seine Komik ist von ihm keineswegs beabsichtigt, es sind mehr die manchmal naiven bis schüchternen Dialoge mit den Frauen in unserem Spiel, seine allzu vernünftigen, logischen Kommentare zu Objekten und Umwelt bis hin zu seiner Vorliebe für lateinische Zitate. Wir nehmen dem brillanten Physiker den andererseits schlichten, unschuldigen zwischenmenschlichen Akteur ab und freuen uns darüber, daß auch Intelligenzbestien manchmal noch depperter reagieren können als wir selbst. Bestens dargeboten wird uns Professor Russel durch die deutsche Stimme von King of Queens Hauptdarsteller Doug, Thomas Karallus. Auch die anderen Sprecher, wie z.B. Jennifer Böttcher als Ann, sind passend gewählt und machen ihre Sache gut.
Ein besonderes Highlight sind Russels Gespräche mit einem angetrunkenen, berlinernden Luftschutzwart, der seine Schlitzohrigkeit auch unter schwerem Drogeneinfluß nicht verliert. Hier und da stimmt mal die Sprachausgabe nicht haarklein mit der zu- bzw. abschaltbaren Textanzeige überein, aber es gibt keine sinnverfälschenden Abweichungen, so daß man damit wirklich gut leben kann.
Alle gesprochenen Texte können gelesen werden, die Leertaste bricht einzelne Dialogzeilen ab und erleichtert das Weiterkommen bei Wiederholungen. Alle Bezeichnungen der Inventargegenstände wie auch der Hotspots am Spielbildschirm gibt's ebenfalls als Textanzeige. Die Hotspot-Texte wurden jedoch manchmal durch den Cursor verdeckt, was bei kurzen Wörtern hinderlich ist.
Auch wenn wir textlich ausgezeichnet unterhalten werden, so stört - gerade bei den Großaufnahmen der Darsteller - die fehlende Lippensynchronität. Schade, da traut man sich im Gegensatz zu vielen Konkurrenzprodukten, die Charaktere 'en face et en détail', also von vorne und mimisch gut erkennbar darzustellen, und dann haut das Timing nicht ganz hin!
Grafik/Musik
Und dabei gefällt gerade die Charaktergrafik in Undercover. Und das besonders in den Großaufnahmen der 3D-Charaktere. Da wird von Szenenbild zu Szenenbild Perspektive und Größe variiert und in den selbstablaufenden Filmszenen ganz selbstverständlich mit kinomäßigem Schnitt und Kameraführung gespielt. Hinzu kommen noch ausgezeichnete Ingame-Animationen, wobei einem sowohl Körperbewegungen als auch Mimik manchmal seltsam vertraut erscheinen. Fein, daß auch einige übertriebene Pausenbewegungen, die ich noch im Preview bemängelte, jetzt lebensecht reduziert wurden. Frisuren und auch Texturen wie Anzugstoff mit Fischgratmuster wirken echt. Dagegen glaube ich nicht, daß Agentin Ann tatsächlich lange 'undercover' in ihrem sexy Outfit geblieben wäre.
Die 2D-Hintergrundgrafiken erfreuen durch Detailreichtum und lassen die Maus nicht einschlafen. Die Schauplätze sind nicht erfunden, sondern zumindest teilweise realen Vorbildern der Zeit nachempfunden. Die winterlichen Schauplätze in Berlin, Haigerloch usw. lassen den eiskalten Kriegswinter lebendig werden unterstützt durch grafische Raffinessen wie Nebel- und Lichteffekte. Insgesamt wurden zwar nicht viele NPCs eingesetzt um die Szenen zu beleben, z.B. hätte man sich am Bahnhof Haigerloch sicher eine Reihe Reisender vorstellen können statt eines verlassenen Bahnsteigs, aber bedingt durch Krieg, Kälte oder Tageszeit geht das auch in Ordnung.
Die Effekte, auch der realistische Schattenwurf der 3D-Charaktere, können über das Optionsmenü auch für nicht so leistungsfähige Grafikkarten reduziert werden. Auch die Kantenglättung und Bildschirmauflösung bieten in dieser Hinsicht genügend Variationsbreite.
Ein spezielles Feature wurde mit einem Sepiafilter eingebaut, einem monochromen Farbfilter, der dem Spiel den Look eines alten Films verleiht.
Die Musik von Undercover tut sich nicht groß hervor, sie begleitet mehr als daß sie führt. An einem Schauplatz erklingt die abgewandelte deutsche Nationalhymne, ebenfalls unaufdringlich.
Performance/Technisches
Bei meinem älteren Rechner bin ich es gewohnt, Einstellungen zurückzuschrauben und auch schon mal die eine oder andere Verzögerung in Kauf zu nehmen ohne das anzunörgeln. Allerdings übersteigen die Wartezeiten bei Szenenwechseln im Fall von Undercover ein annehmbares Maß - auch bei leistungsfähigerer Hardware. Die Spielunterbrechungen mit langweiligem Starren auf einen schwarzen Bildschirm müssen einfach einen Punktabzug nach sich ziehen.
Darüber hinaus gab es keine technischen Probleme beim Spielablauf oder der Installation.
Handling
Dafür sind noch zwei wenn auch kleine so doch erwähnenswerte Reibungspunkte im sonst lobenswerten Handling zu nennen: zunächst die Reihenfolge bei der Anzeige der Speicherstände, bei der man das zuletzt gespeicherte Savegame immer zuunterst findet. Umgekehrt wäre angenehmer gewesen, denn wer scrollt schon jedesmal gerne?
Zweitens habe ich mich mit dem Rechtsklick für Szenenwechsel bis zuletzt nicht anfreunden können und mich jedesmal geärgert, wenn der gute John auf Linksklick nur zum Szenenausgang gelaufen ist und mir erzählte, wohin es denn dort geht. Wenn man seit Anbeginn der Maussteuerung mit der linken Maustaste ins nächste Bild kommt, warum ändern?
Die sonstigen Spielfunktionen sind üblich und bequem: Linksklicks mit dem Iconcursor geben Beschreibungen von Objekten und Personen, Rechtsklicks führen Aktionen aus. Eine scrollbare Inventarleiste erscheint bei Mausberührung im unteren Bildschirmbereich. Wir steuern unseren Helden wie üblich indirekt durch hindeuten und klicken, ein Doppelklick macht ihm Tempo.
Ein Menüsymbol wird im oberen Bildschirmbereich sichtbar, wenn wir die Maus dorthin bewegen. In diesem Spielmenü können wir nur die Audiooptionen (3 Regler) sowie Gamma, Untertitel und Sepiafilter einstellen. Für alle übrigen Funktionen (Grafik, Auflösung, Einsteigermodus) müssen wir noch einen Schritt zurück ins Hauptmenü und danach auch das Spiel neu starten, damit die Umstellungen wirksam werden.
Speichern können wir unbegrenzt. Per Mausklick wird automatisch ein Screenshot mit Zeit und Ort angelegt. Das Verlassen des Spiels funktioniert glücklicherweise schneller als das Verlassen einer Szene.
Der spezielle Einsteigermodus bietet Anfängern eine Hilfestellung während des Spiels: die TAB-Taste zeigt Szenenausgänge und die Rücktaste alle Hotspots. Man überlebt das Spiel aber auch sehr gut ohne diese Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Rätsel
Denn die Rätsel - hauptsächlich Objekt- und Inventarrätsel - bewegen sich im Schwierigkeitsgrad zwischen leicht und mittelschwer. Das Suchen, Finden, Ausprobieren und Kombinieren der Objekte im rasch gefüllten Inventar war ganz nach meinem Gusto: Zum einen sind Rätsel mit verschiedenen Objekten lösbar, zum anderen hat Russel auch für nicht funktionierende Versuche meist einen netten Spruch. Die Zahl der nichträtselrelevanten Hotspots machte das Knobeln ein wenig komplizierter, nahm aber zum Schluß hin ab. Dafür wurden allerdings einige zeitkritische Aufgaben eingebaut, die zu einem quasi GameOver führen können, nach dem man automatisch wieder zum Anfang der zu lösenden Aufgabe springt, so daß man keinen selbst angelegten Speicherstand bemühen muß.
Eine Schleicheinlage wird den Spielern mehr als ein-zwei Versuche abverlangen und einige leichte bis mittelschwere Dekodieraufgaben und ein Zahnradrätsel stellen die Kombinationsgabe auf den Prüfstand. (Wobei man sich spätestens beim dritten unauffällig ausgelegten Zahnrad die Frage stellt, warum die Dinger eigentlich von irgendjemandem wie die Ostereier verteilt wurden, wo sie doch zusammengehören). Die Multiple-Choice-Dialoge sind nur wenig komplex und verlangen selten ein Nachfragen um den Handlungsablauf weiterzuführen.
Obwohl weitgehend linear aufgebaut, bleiben die Spieler nicht hilflos oder genervt hängen - man bekommt klare Aufträge oder weiß zumindest, was man tun muß. Ich möchte die Rätsel als solide nicht aber als neuartig oder gar unkonventionell beschreiben. Trotzdem hat man sich sichtlich darum bemüht, auch altbekannte Adventureaufgaben interessant zu gestalten: schmunzeln mußte ich bei diversen Türöffnungsrätseln, bei denen fast verbissen die alternativste Lösung eingebaut war - ich meine als Alternative zur Papier/Bleistift-Lösung. Und es beeindruckte, wie angestrengt desinteressiert unser Held einen mehr als großen Bogen um 'staubige und nutzlose' Kisten zu machen versuchte.
Fazit
Zeit, Ort und Thema sind unverbraucht und wurden spannend inszeniert. Das Einbeziehen realer Geschehnisse und Orte fand ich faszinierend. Die Charaktere blieben mir zwar zu sehr an der Oberfläche und das Ende hätte noch einige Aufklärung vertragen können aber nichts desto trotz hat mich Undercover derart eingenommen, daß ich unbedingt wissen wollte, was am Ende passiert. Dabei ging das kurzweilige Spiel mit ca. 16+ Stunden fast zu schnell herum (ohne Einsteigermodus gespielt). Undercover wird auch Fortgeschrittene Adventurespieler spannend unterhalten, ist aber ganz besonders empfehlenswert für Adventureeinsteiger und Spieler mit älteren Rechnern.
Meine Gesamtbewertung: 81%
Bewertungssystem Adventure-Archiv:
Systemvoraussetzungen:
- 80% bis 100% sehr gutes Spiel (sehr empfehlenswert)
- 70% bis 79% gut (empfehlenswert)
- 60% bis 69% befriedigend (bedingt empfehlenswert, mit Abstrichen)
- 50% bis 59% ausreichend (nicht gerade empfehlenswert)
- 40% bis 49% ziemlich schlecht (eher abzuraten - etwas für Hardcore-Adventure-Freaks und Sammler)
- 0% bis 39% grottenschlecht (lieber die Finger davon lassen)
WIN 98SE/ME/2000/XP Athlon/Pentium 1GHz 256 MB RAM DVDROM-Laufwerk Grafikkarte mit DX9 Unterstützung und mind. 64 MB DirectSound kompatible Soundkarte DirectX 9.0c
gespielt mit:
- Windows XP
- P IV 1,6 GHz
- 512 MB RAM
- 16x DVD-ROM (Artec WRA-A40)
- nVidia GeForce 2MX400 64 MB Grafikkarte
- Soundkarte DirectX-kompatibel
Copyright © slydos für Adventure-Archiv, 16. Oktober 2006
Hauptmenü
Das Inventar füllt sich schnell
Schatten bzw. Spiegelungen können zu- und abgeschaltet werden
Nahaufnahmen fallen sehr ausdrucksvoll aus
Von Preßnitz verfolgt seine eigenen Pläne
Haigerloch - ein idyllisches Städtchen
Die Kellnerin ist zugänglicher als der Wirt
Ein bißchen Sabotage gefällig?
Was verbirgt sich in der zerbombten Fabrik?