Time Trouble

Waschmittel, Medikamente, Feuerlöscher - plötzlich wurde Martin Mirbach bewußt, was er der chemischen Industrie eigentlich alles verdankt. Ob‘s an diesem neuen Werbespiel von westka lag?

Hin und wieder gibt es Werbespiele, auf die es sich zu warten Iohnt.Vision zum Beispiel fallt ganz sicher in diese Kategorie. Handelt es sich hierbei doch um das erste Spiel, das nach Ablauf der Werbekampagne kommerziell vermarktet wurde. Auch Free Spirit, das von Rauser entwickelte erste 3-D-Werbe-Adventure, hat es geschafft, neue Akzente auf dem Markt zu setzten. Die Entwickler der Kölner Werbeschmiede westka haben es sich nun zum Ziel gesetzt, mit Time Trouble einen weiteren Meilenstein auf der Werbespielwiese zu setzen.

In unserer Juni-Ausgabe haben wir erstmals über dieses Spiel berichtet und uns damals bereits recht euphorisch über die schönen Hintergrundgrafiken geäußert. Durch die vielen Feinarbeiten an dem erst kürzlich bei westka erschienenen Ritter-Sport-Werbespiel Agent XXL verspätete sich die Geburt des jüngsten Kindes allerdings immer wieder aufs Neue. Jetzt ist es endlich da, und wir hatten reichlich Zeit, es auf Herz und Nieren zu untersuchen.

Der Segen moderner Chemie
TimeTrouble entstand im Auftrag der Chemie-Verbände Baden-Württemberg. Kein Zweifel, die chemische Industrie hat nicht nur in Deutschland mit einem eher schlechten Image zu kämpfen. Ein gutes Werbespiel käme da gerade recht Die Frage ist nur: Mit welchen Inhalten soll man das Spielgeschehen auffüllen, ohne den Spieler immer wieder mit der Nase auf den Segen moderner Chemie zu stoßen? Bei westka hat man allerdings eine gute Lösuog für dieses Problem gefunden, indem man die Handlung einfach auf mehreren Zeitebenen spielen läßt.

Zunächst findet sich der Spieler in der Zukunft wieder, genauer gesagt im Jahr 2054. An der Universität Heidelberg arbeitet im "Institut für neue Werkstoffe" ein Team von Wissenschaftlern an der Entwicklung der ZeitkapseI Tempus. Nach einem mysteriösen nächtlichen Einbruch ist plötzlich der fast fertige Tempus-Prototyp verschwunden. Doch damit nicht genug, auch der Institutsleiter Dr. Retortius hat sich scheinbar in Wohlgefallen aufgelöst.

Die vier übrig gebliebenen Mitglieder des Wissenschaftsteams machen sich natürlich sofort daran, den Professor zu suchen. Schnell können sie rekonstruieren, daß nicht die Einbrecher den Tempus-Prototypen für eine Zeitreise benutzt haben, sondern der Professor selbst. Im weiteren Verlauf der Handlung kommen sie einem unglaublichen, weltbedrohenden Plan auf die Spur, den zu verhindern es nur eine Möglichkeit gibt: Das Team muß den zweiten Tempus-Prototypen fertigstellen und ebenfalls in der Zeit zurückreisen, um seinem Chef zu helfen und die Welt zu retten.

So gelingt es, den Spieler schnell in ein packendes Adventure zu verwickeln, über dessen weiteren Verlauf wir an dieser Stelle natürlich noch nichts verraten. Dennoch: Die durchdachte Story gehört ausdrücklich zu den Stärken des Spiels. Sie hat sogar noch einen weiteren Vorteil. Durch die Verlagerung der Handlung in die Zukunft, kombiniert mit Reisen in die Vergangenheit, wird der Spieler ebenso mit (möglichen) chemischen Neuerungen wie auch mit historischen Chemikern konfrontiert, ohne daß er es eigentlich merkt. Im Jahre 2054 besitzen die Autos nun mal eine Kohlefaser-Karosserie und fahren mit Rapsöl, und für die Verdienste der Herren Paracelsus und Liebig interessieren sich die Kids in der Schule wohl auch nicht so sehr. Hier gehört beides einfach dazu.

Schöne neue Bilder
Wie Time Trouble ganz direkt von chemischen Entwicklungen profitiert, zeigt sich im schillernden Magenta, im satt-dunklen Zyan und im tiefsten Schwarz. Solche Farben wären doch ohne Chemieprodukte gar nicht herstellbar! Aber im Ernst: Die zweite große Stärke des Spiels liegt eindeutig in den wunderschönen Grafiken. Die detailreichen Hintergründe und einige sehr gute 3-D-Renderanimationen würden auch so manchem Vollpreisspiel zur Ehre gereichen.

Etwas heraus fallen allerdings die vor der Blue-Screen gefilmten und nachträglich ausgestanzten Darsteller. Zum einen ist die bloße optische Qualität der Aufnahmen nicht ganz so gut wie die kommerzieller Produkte, zum anderen scheint man bei westka immer noch ein kleines Problem mit der Programmierung von Wegen zu haben. Zwar rennen die Figuren hier nicht mehr ganz so wild durch Gegend und Gegenstände wie noch bei Agent XXL, sondern laufen nur noch etwas eiernd durchs Bild, aber trotzdem: Da haben wir doch etwas gefunden, woran es sich noch zu arbeiten lohnt.

Dafür gibt es aber an der schauspielerischen Leistung der Darsteller ebenso wenig zu mäkeln wie an der Sprachausgabe, dem Soundtrack oder der Steuerung. Bei letzteren haken zwar die innovativen Elemente (nein, der Cursor springt bei rechtem Mausklick nicht immer automatisch ins lnventory in der linken oberen Bildecke), aber dadurch wird Time Trouble auch nicht schlechter als Spiele, die solche Tricks erst gar nicht versuchen.

Jongliert werden muß mit dem Cursor sowieso. Nicht nur die verschiedenen Gegenstände aus dem Inventar werden so angewählt, auch die Aktionen der Figuren (untersuche, nimm, benutze, sprich mit...) und sogar die Figuren selbst. Denn in Timelrouble kann und muß der Spieler zwischen den verschiedenen Mitgliedern des Teams hin- und herschalten. Sei es, weil Michael mit seinen dicken Fingern nicht durch den Gullydeckel greifen kann oder weil der störrische, alte Paracelsus sich ausschließlich mit der hübschen Andrea unterhalten will. Beim Spieler wird so jedenfalls eine Extraportion Hirnschmalz stimuliert.

Überhaupt sind die Rätsel in Time Trouble nicht ohne, manchmal sogar hart am Rande der Fairness.Warum man etwa ein abgestelltes Fahrrad nicht einfach benutzen kann, sondern ins Inventar packen und dann zu Fuß weitergehen muß, entzieht sich meinem Verständnis. Andere für den Verlauf der Handlung wichtige Gegenstände (Waschmittel!) sind nur durch pixelgenaues Anklicken zu finden. Und auch insgesamt verläuft die Geschichte sehr linear:

Wer nicht wirklich sämtliche Schritte in exakter Reihenfolge ausführt, bleibt zwangsläufig hängen. Immerhin trägt dieses Konzept zu einer immensen Erhöhung des Spielumfangs bei. Da behaupte noch einer, Werbespiele seien immer zu kurz und zu leicht!

Selbst mit komplettem Lösungsweg sitzt man gut und gerne vier Stunden an diesem Spiel. Und weil eigentlich nur wir Fachjournalisten (hört, hört!) in den Genuß werksseitiger Lösungshilfen kommen, finden sichTips und Tricks auf der Internet-Homepage des Chemieverbandes.

Auch so kann Werbung aussehen.

Und wie immer bei Werbespielen bleibt zum Schluß das Problem der Benotung. 18 Mark kostet Time Trouble und ist damit von kommerziellen Spielen weit entfernt. Aber die Zeiten haben sich geändert, und Sie bekommen ein Spitzenmagazin wie die PC Power zusammen mit einem Weltklasse-Spiel wie Hell schon für lächerliche Vierzehn-Achtzig.

Auf der anderen Seite: Wenn man mir gar nicht erst verraten hätte, daß es sich bei Time Trouble um ein Werbespiel handelt, wäre es mir vermutlich nie aufgefallen. Die versteckten Botschaften wären einfach so in mein armes Unterbewußtsein gewandert, einschließlich der gnadenlosen Glorifizierung verstorbener und zeitgenössischer Forscher. Sogar Vollpreisspiele sind da mitunter aufdringlicher (na, welches Review in dieser Ausgabe ist da wohl gemeint?). So bleibt unterm Strich ein dickes Lob in Richtung Köln und folgendes Urteil...

Pro
Großer Spielumfang
Günstiger Preis

Kontra
Lineare Handlungsführung
Zum Teil sehr schwere Rätsel

Bewertung:

Spiel-/Dauerspaß: 32 von 50

Handhabung: 7 von 10

Grafik: 17 von 20

Sound: 15 von 20

Total: 71

Minimale Systemanforderungen: 486/33,8 MB RAM, SVGA, DOS 6.0

 

PC POWER NOVEMBER 1996

 

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