Ich gestehe, es sind seit geraumer Zeit so viele
Adventures, die veröffentlicht werden, so dass ich bei vielen Spielen, die da zwecks
eines Reviews auf mich zukommen, kaum noch die Zeit finde, mich im Vorfeld näher mit
ihnen zu beschäftigen. Auch das Comic-Adventure The Book of Unwritten Tales"
war so ein Spiel, von dem ich mal wieder nicht wirklich irgendwelche Infos gesammelt
hatte. Und so habe ich mich, nachdem das Spiel dann bei mir eingetrudelt ist, einfach
überraschen lassen, was da nach der Installation so auf meiner alten Flimmerkiste
rauschte. Um dann nach dem Ansehen des Intros und den ersten Spielminuten um so erfreuter
zu sein, offensichtlich mal wieder einen richtigen Fantasy-Adventure-Hit in die Finger
bekommen zu haben. Ob das Spiel über die ganze Spiellänge so zu begeistern weiß, wie es
der Anfang verspricht, verrät der Test.
Handlung
Ja, es ist wirklich eine beeindruckende Phantasiewelt! So fängt es
wahrhaft abenteuerlich und turbulent an mit einem Ritt auf einen Drachen, wie zuletzt
vielleicht in der Anfangssequenz im Glockenturm bei Jack Keane. Doch der Reihe nach.
Der alte Gremlin und Archäologe MacGuffin sitzt zu Hause an seinem
Arbeitstisch und ist in seine Schriften vertieft, als er plötzlich unwillkommenen Besuch
von widerlichen Schurken der finsteren Schattenarmee bekommt. Denn er kennt den geheimen
Aufbewahrungsort eines gefährlichen Artefakts, dessen Macht den Kampf zwischen der
Schattenarmee und den freien Völkern entscheiden könnte. Die Bösewichte der
Schattenarmee wollen ihm diese Information über den Aufbewahrungsort natürlich
entlocken.
Doch selbst im Angesicht der Gefahr weigert MacGuffin sich standhaft
und so entführen sie den Archäologen kurzerhand. Gerade als sie ihn auf ihr
Transportmittel - einen riesigen Drachen aufladen, kommt zufälligerweise die
Waldelfe Ivo vorbei und wird Zeugin des Geschehens. Mutig springt sie in letzter Sekunde
auf den Rücken des Wesens, um dem armen MacGuffin zu helfen. Auf dem Drachen kann sie
Kontakt mit dem in einem Käfig gefangenen Gremlin aufnehmen und ihn zumindest kurzfristig
befreien. Dabei trifft MacGuffin im wahrsten Sinne des Wortes auf den Gnom Wilbur, der,
wie später auch der Pirat Nate inklusive seines pelzigen Begleiters Das Vieh"
rekrutiert wird. Etwas unbeholfen aber mehr oder weniger alle mit den Herzen am rechten
Fleck versuchen sie, sich dem scheinbar übermächtigen Gegner entgegenzustellen.
Die Handlung klingt wie eine bombastische Fantasystory und das ist
es im Prinzip auch. Doch versteht sich Unwritten Tales dabei auch als Parodie und die
Geschichte wird immer mit einem gewissen Augenzwinkern erzählt - was der ganzen Sache
einen nicht unerheblichen zusätzlichen Reiz verleiht. Zumal angefangen von den schrägen
Charakteren über die Story hin zum dynamischen Finale in Form einer witzigen
Zeitreisestory a la Bill und Ted inkl. einer Telefonzelle wirklich alles voller Esprit und
Witz steckt. Aber mehr sei nicht verraten.
Obwohl Unwritten Tales teilweise etwas linear ist und einem in
machen Kapiteln nur wenige Orte zur Verfügung stehen, weshalb der Bewegungsspielraum
manchmal etwas limitiert ist, tut dies dem Spielspaß keinen Abbruch. Etwa ab der zweiten
Hälfte lockert sich die Linearität ein wenig und man kann zeitweilig wie bei
Ceville zwischen den Hauptcharakteren wechseln.
Sound + Sprachausgabe
Hier bekommen wir keine plumpen Humorattacken a la 1,5 Ritter
vorgesetzt und es wird auch nicht wie in den meisten Spielen auf halber Flamme der
Mittelmäßigkeit des Humors deutscher Prägung gekocht oder was viele offenbar so unter
Humor verstehen. Die Dialoge wollen nicht zwanghaft witzig sein. Es wird einfach eine
witzige Geschichte erzählt und der größtenteils feine Humor passt bestens zu den
grotesken Figuren und den absonderlichen Situationen, die sich der Geschichtenschreiber
der Unwritten Tales für uns ausgedacht hat. Viele Anspielungen drehen sich um die
Fantasy-Thematik - so dass wie bei Ceville andere Adventures aber auch Rollenspiele oder
Literatur wie Herr der Ringe usw. als Vorlage herhalten müssen es gibt kaum etwas
aus dem Bereich, das nicht verwurstet wird. Aber auch, wenn man wie ich kein großer
Kenner des Klassikers von Tolkien oder von Rollenspielen ist, versteht man ohne Probleme
die meisten Anspielungen.
Erstaunlicherweise fand ich den Humor von und die Kapitel mit Wilbur
in der Hauptrolle besser und filigraner als etwa von Nate, dem Krieger. Als ob die Texte
der beiden von zwei Autoren geschrieben worden wären. Wahrscheinlich liegt es aber nur
daran, dass Wilbur einfach der sympathischere Charakter ist und den Humor besser
transportiert.
Trotz allem Lob gibt es in Unwritten Tales auch kleine humoristische
Durchhänger. Wenn es z.B. bis in die 80er Jahre die Farbigen waren, die immer wieder mit
einem Knochen in der Nase und einem Weißen im Kochtopf dargestellt wurden, so sind es bis
heute die Schwulen, die laut kreischend, zickig und hysterisch gebärdend, immer wieder
für Witzchen herhalten müssen. Und wie bei Tell, Traumschiff Surprise und vielen anderen
Adventures gibt es einen solchen - in dem Fall metrosexuellen - Charakter. Das Thema ist
doch schon lange völlig durch.
Viele Stimmen kommen einem bekannt vor, was daran liegen könnte,
dass sie es sind. Ja, man hat die erste Riege der Synchronsprecher vereinigt. Unverkennbar
ist sicher Oliver Rohrbeck besser bekannt als Stimme von Justus Jonas und den
Adventurern als Assil aus Ankh um nur zwei seiner zahllosen Sprechrollen zu nennen. Er
brilliert hier als Wilbur. Nicht weniger prägnant und bekannt sicher auch die Stimme von
Käptn Blaubär" Wolfgang Völz oder John Cleese (Thomas Danneberg). Und auch
die weiteren Sprecher kennt man vielleicht nicht unbedingt vom Namen her, sie haben aber
fast alle prominente Rollen wie Bond, Whoopi Goldberg, Romy Schneider usw. gesprochen. Das
Ergebnis sind auf jeden Fall von Top-Sprechern vorgetragene Dialoge.
Gegenstände werden vom jeweiligen Charakter nicht nur einfach
wortlos genommen, sondern er weiß immer ausgiebig etwas über diese zu berichten
allerdings ohne in endloses unlustiges Gelaber zu verfallen. Dass man die meisten Objekte
mehrmals anklicken muss bzw. darf, macht daher einen Heidenspaß und auch neugierig,
welche weiteren Informationen man so nach und nach auf unterhaltsame Weise erhält.
Einige Hotspots verschwinden und können nicht mehr angeklickt
werden, nachdem man sie angeschaut hat, da offensichtlich alles Wichtige mitgeteilt wurde.
Das trägt dazu bei, dass das Spiel übersichtlicher und durch das Wegfallen
nichtspielrelevanter Gegenstände vielleicht auch ein bisschen einfacher wird.
Die filmische, orchestrale Musik ist abwechslungsreich und passt
hervorragend zum Spiel. Während der Abspann läuft, kann man sie sich noch einmal in Ruhe
anhören, da wohl viele nicht in Ruhe hinhören dürften, wenn sie mit dem Spiel
beschäftigt sind.
Grafik
Auch optisch ist Unwritten Tales schlicht eine Pracht und ich stelle
fest, dass 2.5D immer noch besser aussieht als sein dreidimensionaler Verwandter. Es
wurden also wie bei 2.5D üblich, 3D-Charaktere in zweidimensionale Hintergründe
eingebaut. Und während die 3D-Landschaften der aktuellen Abenteuer, die ich gespielt
habe, größtenteils immer noch ein bisschen klotzig aussehen, besonders wenn es keine
absoluten Mörderbudgetproduktionen sind, bietet Unwritten Tales hochauflösende und mit
vielen verspielten Details versehene Grafik.
Einige wirklich toll umgesetzten Effekte - wie die beeindruckenden
dicken Nebelschwaden während des Ritts auf dem Drachen direkt am Anfang des Spiels,
Bäume, die sich im Wind der vorbeifliegenden Wolken bewegen - um nur zwei Beispiele zu
nennen, erfreuen nicht nur das Auge sondern sogar beide. Die wenigen separaten
Videosequenzen sind meist kurz, aber dafür wirklich rasant und nahezu perfekt in Szene
gesetzt worden. Ebenso die Gesichter und die Bewegungen der Figuren in der Spielgrafik.
Die Darsteller weisen besonders in Naheinstellungen ein extrem abwechslungsreiches
Repertoire an Mimik und Gestik auf, egal ob Ivo sich gerade spontan vom Betrachter
wegdreht oder Wilbur sich ungeniert am Po kratzt. Je nach Spielszene sieht man die
Charaktere aus verschiedenen Perspektiven und in verschiedenen Größen. Da präsentiert
sich die Szene z.B. von oben in Draufsicht bzw. isometrischer Perspektive und Ivo hebt den
Kopf und scheint uns von unten anzuschauen. Sehr putzig auch, wie Wilbur sich gelegentlich
zu uns wendet und mit uns spricht. Der kunstvolle Grafikstil gefällt einfach - sofern man
Comic-Grafik mag - und das ganze Spiel wirkt auch optisch wie eine perfekt inszenierte
bombastische hollywoodreife Produktion, allerdings Made in Germany, denn bei Unwritten
Tales handelt es sich um eine deutsche Produktion.
Rätsel
In erster Linie müssen wir richtig geraten
Gegenstände aufsammeln und anwenden und noch einmal richtig Dialoge führen
und dabei die richtigen Antworten aus den Gesprächspartnern herauskitzeln, damit es
weitergeht.
Im ersten Drittel des Spiels geht es sehr linear und eher leicht zu.
Danach, also wenn wir als Team mehr oder weniger vereint sind, wird die Linearität
zeitweilig etwas aufgebrochen, denn wir können wir zwischen den Figuren wechseln und es
wird gelegentlich auch kniffeliger, auch wenn The Book of Unwritten Tales"
generell nicht allzu schwierig ist. Dafür sind die Rätsel nicht selten herrlich schräg
und phantasievoll. Zu den oben beschriebenen Tätigkeiten gesellen sich jetzt noch einige
andere Aufgaben wie eine kleine, etwas gemeine Geschicklichkeitssequenz oder
einfallsreiche Schalterrätsel, die wir nur mit mehreren Figuren lösen können. Weiterhin
müssen auch Symbole entschlüsselt werden.
Handhabung
Immer wenn sich der Cursor in ein Lupen-Symbol verwandelt, kann man
Gegenstände mit der linken sowie rechten Maustaste betrachten. Falls er zum
Benutzen-Symbol wird, kann man dieses mit links tun oder mit rechts den Gegenstand
weiterhin betrachten. Natürlich kann man auch Inventarobjekte auf solch einen Gegenstand
anwenden. Dazu führe man den Cursor zum unteren Bildschirmrand, auf das die
Inventargegenstände dort erscheinen, so dass man sie mit einem Linksklick zum Verwenden
aufnehmen kann. Mit rechts kann man die Gegenstände betrachten. Nach einer Weile bekommen
wir eine Karte, mit der wir dann sofort zu den gewünschten Orten gelangen. Ein Druck auf
die Leertaste macht alle im Bild befindlichen Hotspots sichtbar ...
Mehr oder weniger das übliche Prozedere halt. Eine
Benutzerführung, wie sie in ähnlicher Form ja immer wieder verwandt wird, weil bewährt,
einfach und praktisch.
Auch nicht wirklich verblüfft ist man, dass man mit Escape das
Menü öffnet, wo man Spielstände anlegen, laden, das Spiel beenden sowie ein paar
Einstellungen vornehmen kann. Als da wären: einschaltbare Untertitel, die
Soundeinstellungen, die in Musik, Sprache sowie Sound aufgeteilt sind sowie
Grafikeinstellungen, bei denen man verschiedene Werte runterschrauben kann, falls der
Rechner in die Knie gehen sollte. Mehr bedarf es eigentlich auch nicht.
Erwähnt sei aber noch, dass trotz inzwischen nicht mehr ganz
aktueller Hardware und recht hohen Werten bei der Auflösung usw. das Spiel bei
top-aussehender Grafik immer flüssig lief.
In den ersten Spielminuten bekommen wir übrigens eine Einführung
in die Bedienung eingeblendet, so dass auch der absolute Laie eigentlich insofern
der Arme denn tatsächlich noch nie ein Adventure gespielt hat die einfache und
bedienerfreundliche Handhabung problemlos erfassen dürfte.
Was sonst noch
Kommen wir zu der beliebten Rubrik Was sonst noch", wo
sich wie immer alles findet, was ich bisher nicht unterbringen konnte.
Unwritten Tales lief auf meinem Rechner relativ fehlerfrei. Was bei
vielen Adventures ja nicht selbstverständlich ist, da man gerade in den letzten Jahren
den Eindruck gewinnen konnte, dass es sich bei den Beta-Testern und den Käufern um
denselben Personenkreis handele, siehe Ceville. Relativ" bedeutet aber
bekanntlich nicht komplett fehlerfrei und auch bei Unwritten Tales haben sich ein paar
kleinere Fehlerchen eingeschlichen. Lästig war, dass ich das Spiel eine Zeitlang fast
immer zweimal starten musste, da beim ersten Mal die Sprachausgabe nicht funktionierte.
Auch gab es einen Logikfehler bei den Rätseln, weshalb es auf alle Fälle ratsam ist, in
regelmäßigen Abständen zu speichern.
Dennoch würde ich Unwritten Tales bis auf diese und zwei, drei
weitere Unsauberkeiten im Vergleich zu vielen anderen aktuellen Abenteuern als
verhältnismäßig solide programmiertes Spiel bezeichnen.
Man kann das Spiel auf einer DVD im Miniklappkarton mit Beiheft
kaufen. Die Spielzeit beträgt etwa 6 bis 8 Spielabende oder vielleicht 20 25
Stunden. Ganz genau möchte ich mich nie festlegen, da es von verschiedenen Faktoren wie
den kognitiven Fähigkeiten oder der Spielweise des Spielers etwa ob er sich Zeit
lässt oder durchhetzt - abhängt.
Fazit
Richtig gute, eigenständige Comic-Adventures zu erstellen, die
nicht die Fortsetzung einer Reihe sind und überzeugende neue Protagonisten zu erschaffen,
die auch nicht aus einer bereits vorhandenen Roman-, Comic- oder Filmvorlage entstammen,
ist eine Kunst, die - vor allem so perfekt wie hier geschehen - nur selten gelingen will.
Mit The Book of Unwritten Tales" ist nach langer Zeit mal wieder ein solches
Adventure mit direkt vier solchen Hauptcharakteren entstanden. Auch sonst stimmt fast
alles: Aufwändig animierte Figuren in einer äußerst ansprechenden Spielgrafik
integriert, phantasievoll ausgearbeitete Story, größtenteils richtig witzige Dialoge,
stimmige exzellente Synchronisation und Musik - alles wurde sorgfältig bis ins kleinste
Detail ausgearbeitet. Dass das Spiel je nach Kapitel etwas linear ist und die Rätsel
oftmals nicht allzu schwierig sind, hat mich wenig gestört. Zu bemängeln sind
wenn überhaupt - lediglich Kleinigkeiten, etwa, dass die Qualität des an sich generell
auf hohem Niveau befindlichem Humors je nach Kapitel etwas schwankt. Und so ist The
Book of Unwritten Tales" ein ziemlich perfekt arrangiertes Adventure, welches das
Zeug zum Klassiker hat. Das wird doch wohl bitte fortgesetzt werden?