Hurraahh! Es ist Herbst. Es regnet den ganzen Tag,
wenn es nicht gerade neblig ist oder stürmt. Es ist kalt, dunkel und ungemütlich und die
Sonne ist hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden. Die Häuser erscheinen noch
grauer. Die Menschen hierzulande auch und zudem sind sie noch muffeliger und
unfreundlicher als sie eh schon sind. Aber kein Grund zu resignieren: Schließlich
bedeutet Herbst auch, dass mal wieder ein neuer Teil der Carol-Reed-Serie ins Haus steht.
Vertonung
Ja, auch dieses Mal muss ich mein bescheidenes Schulenglisch wieder
bemühen. Carol 5 erscheint wieder mal nicht auf Deutsch, obwohl es zunächst anders
aussah: Denn die ersten vier Teile sollten ja eigentlich im Nachhinein im Jahre 2008 ins
Deutsche übersetzt und auch hierzulande veröffentlicht werden. Der erste Teil zum
Beispiel erst vier Jahre nach der Erstveröffentlichung 2004. Himmel, wie die Zeit
vergeht. Und selbst die Gestaltung der deutschen Cover standen schon fest. Wie wir wissen,
ist das Vorhaben mehr oder weniger gescheitert, da im letzten Moment der deutsche
Publisher das Zeitliche segnete Und so dürften die Mannen um Nyquist erst einmal die Nase
voll haben von einer Veröffentlichung in Deutschland. Vielleicht unternehmen sie ja
irgendwann noch einmal einen Versuch. Es würde mich freuen.
Also erst einmal alles wie gehabt Carol auf Englisch. Fans der Serie
wissen es längst - das reicht auch völlig aus, zumindest für Spieler, die, wie ich, nur
mit mittelmäßigen Englischkenntnissen ausgestattet sind. Die Stimmen sind wie immer mit
viel Charme eingesprochen worden und die Sprecher machen ihre Sache wie gewohnt gut, so
dass es eine Freude ist, ihren teilweise sympathischen schwedischen Akzenten zuzuhören.
Allzu viel wird ja eh nicht gesprochen, denn die meiste Zeit ist man mit Exploration
beschäftigt. Nicht allzu häufig läuft einem da ein Mensch über den Weg.
Musikalisch gibt es gewohnt ruhige Klänge auf die Ohren. Da finde
wir neben ein paar neuen wieder die bekannten Themen, die teilweise wieder leicht
verändert wurden - meine ich zumindest. Diese bestehen aus minimalistischen,
späherischen, meist elektronischen Klängen und laden ein, die Welt von Norrköping in
aller Ruhe zu erkunden.
Grafik - Carol goes colour
Die Farbe des Mordes. Tja, Rot, genauer
Blutrot, würde ich ja wohl sagen. Und mit dem Namen ist direkt eine kleine Neuerung
eingezogen. Denn erstmals ist das Cover nicht mehr überwiegend im schlichten dezenten
Understatement-Weiß gehalten, sondern farbig. Ob damit auch eine Veränderung bezüglich
des Grafikstils angedeutet werden soll, fragt sich da natürlich besorgt der geneigte
Spieler?
Kein Grund zur Beunruhigung! Wer die Serie mag, dem wird auch der
aktuelle Teil gefallen. Etwa vier Jahre ist es her, seit Carol zum ersten Mal ermittelte
und im Großen und Ganzen ist Nyquist seinem Grafikstil treu geblieben. Das zeigt
eigentlich nur, wie ausgereift dieser bereits war. Wobei ausgereift im Fall der Carol
Reed-Adventures bedeutet, dass derjenige, der noch keinen Teil gespielt hat, nicht
erwarten sollte, 3D-Sequenzen in High-End-Qualität präsentiert zu bekommen. Denn nein,
mit Nichten und Neffen, genau das Gegenteil ist der Fall. Auch der fünfte Teil ist was
die Technik anbelangt wieder mit sparsamsten Mitteln erstellt worden. Und das reicht
völlig aus, den Spieler von Spielbeginn an in eine ganz eigene magische Welt zu ziehen.
Nun ja, eigentlich ist sie ja real, die Welt von Norrköping, einer
Stadt irgendwo in Schweden (dazu später mehr), denn das ganze Spiel besteht ja im Prinzip
nur" aus Fotografien. Magisch" wird die Welt, die wieder nur durch
eine sehr große Anzahl von Standbildern entsteht, durch die wunderbare Nachbearbeitung
bzw. Retusche der Bilder.
Dabei setzt sich die Sorgsamkeit, mit der diese Orte ausgesucht und
aufgenommen wurden, in den Details fort. Es ist einzigartig, wie nahe die Wohnungen,
Gebäude und allerlei obskure Orte dem Spieler gebracht werden. Sie wirken einerseits
bewohnt und andererseits durch die Menschenleere und die grafische Nachbearbeitung
geheimnisvoll und fremd. Jeder Raum kann genau erforscht werden und man kommt sich so vor,
als würde man in einen sehr privaten Bereich vordringen.
Und dennoch meine ich, dass zumindest gelegentlich eine leichte
Veränderungen bezüglich der Art, die Bilder zu bearbeiten zu bemerken ist: einige davon
wirken scheinbar noch unstrukturierter. Dieses wird bewirkt, indem teilweise noch
chaotischer anmutende Szenerien fotografiert und retuschiert wurden: Etwa wilde Pinsel und
Farbklecksorgien in einer Kammer bei einem Bühnenausstatter. Dass das Ganze natürlich
völlig bewusst ausgesucht, die Bilder extra so arrangiert und nachbearbeitet wurden und
auch völlig harmonisch sind, erkennt jeder, der Kunst mag. Nyquist geht seinen Weg, die
Bilder zu bearbeiten langsam aber konsequent weiter. Eine Richtung die mir sehr gut
gefällt und die er meinetwegen gerne noch verstärkt verwenden darf.
Rätsel
Und auch bezüglich der Rätsel verfolgt man im Hause MDNA die
Richtung weiter, die man schon im letzten Teil eingeschlagen hat. Man löst sich wie schon
im Vorgänger etwas mehr von dem stringenten Leitfaden. Es gibt viele Ansätze, man muss
wieder einmal viel suchen und selbst erarbeiten in recht verschachtelten und interessanten
Orten und Gebäuden, wie das des Bühnenausstatters. Oder der Industriepark, wo es
teilweise mithilfe der Leiter rauf und runter geht. Dementsprechend gibt es mehr zu
entdecken. Vermutlich wurde deshalb jetzt auch erstmals eine Rätselhilfe in Form eines
Tagebuchs eingeführt, um den Spieler im Notfall, also wenn es nicht mehr weiter geht,
nicht ganz alleine zu lassen. Wenn man sich, wie ich, nur mäßig Dinge merken kann,
empfiehlt es sich auf jeden Fall, sich Notizen zu machen, wo noch etwas ungelöst ist,
etwa eine verschlossene Tür, um nicht permanent in die Hilfe lugen zu müssen.
Die Rätsel an sich bestehen also wieder aus viel Exploration, nur
wenig Kommunikation. Natürlich müssen, wie bei fast jedem Adventure, Gegenstände
angewandt werden. Dabei gibt es dieses Mal ein größeres Puzzle, bei dem mehrere Infos
zusammengetragen und Teilaufgaben bewältigt werden, um es zu lösen. In The Colour
of Murder" müssen Schauplätze mit einer Kopf-Lampe erkundet werden.
Erfreulicherweise klappt die Orientierung in den dunklen Räumen besser als beim letzten
Mal, wo man manchmal etwas hilflos in den düsteren Gängen herumgeschlichen ist.
Wie bei einigen Nancy Drew-Teilen, wo man oft losgeschickt wird, um
ein paar Dinge zu finden, bekommen auch wir im aktuellen Carol Reed-Fall eine solche
Aufgabe als Nebenbetätigung. Blümchen sind es, die im ganzen Spiel versteckt sind und
die wir zusammentragen und abliefern müssen, damit es weiter geht. Daneben sind einige
Maschinen- bzw. Schalterrätsel zu finden, Codes müssen verwandt werden und fertig ist
ein unterhaltsamer Rätselcocktail.
Handlung
Kommen wir jetzt aber endlich zur Handlung. Wie schon im letzten
Teil zieht es Carol mal wieder in ihren idyllischen Kleingarten irgendwo in Norrköping,
wo sie eine Notiz ihres Gartennachbarn Willy findet. In dem Brief bittet er sie, ihn
aufzusuchen, da er Hilfe benötigt. Als Nachbarin hat sie es ja nicht weit und so erfährt
sie kurze Zeit später in einem Gespräch, dass sein Sohnemann Adrian, ein nach seinen
Angaben an sich netter, aber etwas merkwürdiger junger Zeitgenosse, verschollen ist.
Willy ist beunruhigt, da er auf der Hinweissuche in Adrians Wohnung, wo denn der Racker
abgeblieben ist, einen Briefumschlag mit dem Namen eines Mannes fand, der eine Woche zuvor
ermordet wurde. Das ist auch so ziemlich der einzige Hinweis, mit dem Carol sich auf die
Suche begibt und natürlich wer hätte es nicht vermutet noch allerlei
andere Geheimnisse ans Tageslicht befördert. Sehr schön gefällt mir diesmal übrigens
auch der Schluss, der etwas ausführlicher als sonst geraten ist.
Norrköping ...
... gibt es übrigens wirklich. Ich habe anfangs spekuliert, ob
Norrköping tatsächlich existiert und wenn ja in welcher Größe? Genauer gesagt hatte
ich schon befürchtet, Nyquist könnten die Motive ausgehen, da meine anfängliche
Vermutung war, es könne sich um eine kleinere Ortschaft handeln. Doch meine
Befürchtungen sind vermutlich unbegründet. Denn tatsächlich ist die Stadt Hauptort der
gleichnamigen Gemeinde und hat immerhin etwa 83.000 Einwohner.
Handling
Ganz schön stur, dass man es wiederum nicht für nötig befindet,
einen Lautstärkenregler einzubauen. Und eigentlich müsste man verzweifeln ob soviel
Dickköpfigkeit und auch genervt sein. Aber irgendwie bin ich es nicht. Vielleicht weil
ich weiß, dass es diejenigen sind, die so beharrlich konventionelle Wege verweigern,
solche einzigartigen Spiele erschaffen. Independent halt. Also wieder einmal großzügig
drüber weggesehen und die Boxen per Hand oder Windows-Lautstärkenregler eingestellt.
Zumal der Rest der sparsamen Handhabung ja auch wie immer völlig ausreicht und praktisch
ist. Und es gibt in Teil Fünf erstmals auch eine Einführung, für solche Spieler, die
noch nie mit einem Carol Reed-Spiel bzw. noch nie mit Adventures in Berührung gekommen
sind. Denn eigentlich ist die Steuerung wieder ebenso einfach wie intuitiv:
Im Prinzip benötigen wir zum Spielen fast nur die linke Maustaste.
Mit der rechten gelangen wir nur ins Menü, wo wir speichern, laden und beenden können.
Das Speichern erfolgt automatisch durch Anklicken eines freien Speicherfeldes. Den Rest
machen wir also mit Links. Als da wären laufen, Personen ansprechen, Dinge aufheben,
diese aus dem Inventar nehmen und verwenden. Das Inventar geht auf, sobald wir den oberen
Bildschirmrand berühren. Einen Zweck hat die rechte Taste aber auch: Mit dieser können
wir uns im Inventar Gegenstände anschauen.
Es bleibt noch zu erwähnen, dass The Colour of Murder wieder auf
einer CD in einer DVD-Box ohne Handbuch erschienen ist und dass es wie gewohnt absolut
problemlos und fehlerfrei auf meinem Rechner lief.
Fazit
Grundsätzlich ist The Colour of Murder ein typisches Carol-Reed-Adventure
und doch sind wie immer leichte Veränderungen zu erkennen. Die Richtung, die man schon
beim letzen Teil erkennen konnte, setzt man konsequent fort. Konkret bedeutet das viele
gar nicht so einfache Rätsel, da es wieder viele Orte und dadurch Ansatzpunkte gibt. Die
Rätsel an sich sind sehr abwechslungsreich und durch das erstmals verwandte Hinweissystem
wird man gut aufgefangen.
Zum anderen erkennt man gelegentlich, neben der üblichen
Bearbeitungsweise der Bilder durch Farbsteigerung, einige weitere kunstvolle Ansätze, wie
etwa einen Trend zu noch mehr chaotisch anmutenden, wunderbar kunstvoll nachbearbeiteten
Szenen. Dieser Ansatz gefällt mir hervorragend.
Im Großen und Ganzen ist The Colour of Murder" ein Spiel, dass mir etwa ebenso
gut gefallen hat wie sein Vorgänger. Also großartig. Und ich sattele noch einen Punkt
drauf für das homogenere Gesamtbild. Ich bin schon gespannt, ob sich das noch steigern
lässt und wohin Carols Ausflug als nächstes geht.