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Fahrenheit
Erscheinungsdatum: 09/2005
Entwickler: Quantic Dream
Publisher: Atari
Spielsprache: DeutschESRB: freigegeben ab 16 Jahren
Ein Review von André 06. Oktober 2005
Das nächste Spiel bitte ganz schnell zum Besprechen! Die veröffentlichungsreiche weil lohnende Weihnachtszeit ist noch in weiter Ferne, ja selbst die Blätter weigern sich noch standhaft, die Bäume zu verlassen, doch es gibt schon eine Veröffentlichungsflut wie Sand bei Ebbe am Strand. Trotzdem machen wir keine Besprechungen am Fließband, sondern jedem Spiel kommt eine genaue Prüfung zu.
Und das actionorientierte Adventure bedarf tatsächlich einer genauen Prüfung, denn es wurde mit ein paar ungewöhnlichen Features bedacht, die bei Adventurepuristen zumindest Skepsis aufkommen lassen. So wurden einige Aspekte wie Gamepadsteuerung oder Maussteuerung in Kombination mit Tastatursteuerung in Kombination mit Actioneinlagen in Kombination mit Zeitlimits von der Adventuregemeinde in der Vergangenheit nicht unbedingt herzlich aufgenommen. Und auch von einer gewissen Perspektivlosigkeit bezüglich der Steuerung wurde im Vorfeld gesprochen. Ob was dran ist und wenn, was - gleich wissen wir mehr.
Handling
Ich starte also das Spiel und tatsächlich funktioniert fast alles anders als dieses bei normalen Adventures der Fall ist. Besonders bei der Bedienung macht sich das bemerkbar, so dass man unbedingt die beiliegende Anleitung lesen und das Tutorial, also eine kleine Einführung, gespielt haben sollte, um anfangs halbwegs damit zurechtzukommen.
Zunächst einmal habe ich festgestellt, dass es leider nicht möglich war, das Spiel mit meinem Gamepad älterer Bauart, einem Gamepad Pro von Gravis zu spielen. Dieses eigentlich mit Tasten vollgestopfte Pad schien leider den Ansprüchen des Spiels nicht zu genügen, da das lediglich über eine statt zwei "analoge Steuerungseinheiten" verfügt, so dass ich auf die noch umständlichere Maus/Tastatursteuerung zurückgreifen musste.
Überhaupt scheinen die Entwickler wahre Kontroll(er)-Freaks zu sein und haben sich bemüht, das Spiel durch die neuen Funktionen so interaktiv wie möglich werden zu lassen. Der Cursor wurde abgeschafft und das Inventar ganz Myst-like gleich mit wegrationalisiert. Statt dessen gibt es am oberen Bildschirmrand einige Piktogramme, auf denen abzulesen ist, was man als nächstes tun kann.
Beispielsweise bedeutet an zwei Waschbecken ein "Maus-links-bewegen-Symbol" in Zusammenhang mit einem Hände-Piktogramm "linkes Waschbecken benutzen", entscheidet man sich für die andere Möglichkeit, also das "Maus-rechts-bewegen-Symbol" und zieht die Maus dementsprechend nach rechts, benutzt man das rechte.
Und so gibt es für jeden Schritt, den man tut, ein eigenes Piktogramm, egal ob man sich setzten oder mit einer Person reden oder doch lieber erst mal ein Käffchen trinken will. Das klingt alles kompliziert, man kommt aber nach einer kurzen Eingewöhnungsphase halbwegs zurecht, solange der Zeitfaktor nicht hinzukommt, der die Dinge allerdings erschwert.
Zeitfaktor und Action
Denn das ganze Spiel ist darauf ausgerichtet, dass alles wie im richtigen Leben erscheint und viele Situationen laufen unter "echtem" Zeitdruck ab. Handelt man zu langsam, geht die Handlung von alleine weiter, was nicht immer einen Vorteil darstellt. Selbst bei den sonst eigentlich so geruhsamen Dialogen wurde ein knappes Zeitlimit eingebaut. Ist dieses überschritten, wählt das Spiel selbsttätig eine Antwortmöglichkeit aus, und manchmal wirkt sich das so ungünstig aus, dass wir beispielsweise Gesprächsdetails verpassen.
Ich gebe zu, dass ich kein Freund von Zeitbegrenzungen bin, aber das Spielprinzip hat mich trotzdem begeistern können, selbst wenn die Zeit, die einem zur Verfügung steht, manchmal sehr knapp ausfällt.
Das Zeitlimit wirkt sich besonders in den immer wieder auftauchenden Actionsequenzen aus, bei denen ich oft damit beschäftigt war, hektisch den richtigen Knopf zu drücken. Es geht beispielsweise darum, ähnlich wie bei Senso möglichst schnell eine bestimmte, vorgegebene Tastenfolge zu drücken. Um die ganze Sache noch zu verkomplizieren, muss man meistens zwei verschiedene Tasten gleichzeitig drücken. Manchmal muss man aber auch sehr geschickt mit der Maus vorgegebene Bewegungen nachzeichnen, um so etwa eine Wand zu erklimmen. Ich fand einige Situationen wirklich sauschwer und frustrierend. So manchen Part musste ich wieder und wieder durchspielen, weil ich immer wieder scheiterte - selbst im "leichten" Schwierigkeitsgrad, den ich schon in weiser Voraussicht gewählt hatte. Warum kann eine leichter Schwierigkeitsgrad nicht einfach leicht sein?
Aber es gibt noch eine weitere Form, wie Action dargestellt wird: Wenn man beispielsweise, wie so oft im richtigen Leben, einen toten Körper in die Herrentoilette zerren muss, wird die daraus resultierende Anstrengung dadurch übertragen, dass man ganz schnell abwechselnd die Pfeiltasten bewegt. Schnell werden Erinnerungen an das Activision-Spiel Decatlon (Zehnkampf) für die gute alte Atarikonsole in Eiche-Furnier wach, bei der man ähnliche Anstrengungen vollbringen musste, um beispielsweise einen
Hürdenlauf zu gewinnen.
Leider gibt es keine Speichermöglichkeiten bzw. es wird automatisch gespeichert. Hat man Dinge innerhalb eines Zeitrahmens nicht erledigt, kann man sie nicht nachholen. Dann hilft nur noch ein Neustart des Kapitels.
Aber weiter zur Steuerung: Man kann mit beiden Mausöhrchen gleichzeitig
gedrückt laufen, während man die Maus bewegend die Richtung wählt. Das gleiche Ergebnis erzielt man aber auch mit den Pfeiltasten. Drückt man nur die linke Maustaste und bewegt die Maus, kann man die Gegend erkunden, drückt man nur die rechte und bewegt die Maus, kann man die Perspektive verändern. Soweit zumindest die wichtigsten Funktionen, ich möchte Euch mit weiteren Ausführungen nicht noch mehr quälen. Schließlich gibt es ein Handbuch, in dem alles ausführlich beschrieben wird.
Story - Worum geht´s überhaupt?
Kommen wir zur eigentlichen im Mysterykrimistil gehaltenen Geschichte. Und die kann sich wahrlich sehen lassen. Im beeindruckenden Intro erleben wir, wie ein Mann in der Herrentoilette eines Cafes umgebracht wird. Das Ungewöhnliche an der Sache: Der Täter, Lucas Kane, weiß selbst nicht, warum er so gehandelt hat. Wird er fremdgesteuert? Wir schlüpfen an dieser Stelle erst einmal in die Rolle des vermeintlichen Täters und sehen zu, dass wir uns schleunigst vom Acker machen.
Ist dieses vollbracht, kommt ein Szenenwechsel. Wir übernehmen nun die
Rollen der (wunderschönen) Kommissarin Carla Valenti sowie ihres Mitarbeiters Tyler Miles und sollen den Mord aufklären. Soweit die Vorgeschichte. Im weiteren Verlauf tauschen wir immer wieder die Rollen und spielen später noch den Bruder das Täters, also insgesamt vier Personen.
Es soll zu noch mehr Morden kommen. Mehr möchte ich wie immer nicht verraten, aber die Geschichte überrascht auch vom Verlauf her immer wieder mit unerwarteten Handlungssträngen. Ich habe bis auf Shady Brook auch schon länger kein Spiel mehr erlebt, wo die Gefühle der Darsteller so stark beschrieben werden. Fahrenheit geht sogar noch ein Schritt weiter, denn das Gefühlsleben wird mit in den Spielverlauf einbezogen und auch die zwischenmenschlichen Beziehungen können vom Spieler beeinflusst werden. Und so kommt es z. B. auf die Feinfühligkeit des Spielers an, ob der Darsteller das Herz der Freundin erobern kann.
Weitere Besonderheiten
Es gibt es noch einige wirklich bemerkenswerte Features, die dem Spieler
sehr viele Möglichkeiten einräumen und das Spiel tatsächlich enorm interaktiv erscheinen lassen. Da ist zum Beispiel der Rollentausch. Zwar gab es auch schon vorher Spiele, bei denen man mehrere Personen abwechselnd spielt. Hier spielen wir aber erst den vermeintlichen Täter um wenig später in die Rollen der Gegenspieler - zwei ermittelnden Polizisten - zu schlüpfen.
Weiter wäre da die Befindlichkeitsanzeige, die sich positiv oder negativ
verändert, je nachdem, wie sorgsam der Spieler seine Figur behandelt. Auch so etwas gab es in ähnlicher Form zumindest in Rollenspielen schon lange, trägt aber auch dazu bei, den Eindruck größerer Interaktivität zu vermitteln.
Und besonders die kleinen Details tragen dazu bei, dass quasi alles möglich erscheint. So z. B., wenn man nebenbei in einer Bar einen Kaffeeautomaten sieht und sich (mit einer eleganten, gekonnten Mausbewegung) eine Tasse Kaffee einschüttet, worauf der Befindlichkeitsgrad der bis dato übermüdeten und völlig frustrierten Polizistin direkt um 5 Punkte nach oben geht. Oder man läuft unvorsichtig über die Straße und ein Autofahrer hupt oder tritt in die Bremsen.
Sehr witzig fand ich auch direkt zu Anfang die Anleitung durch die interaktive Figur des Erschaffers im Tutorial, wo er im Übungsraum neben der als Dummy dargestellten Spielfigur steht und die Steuerung erklärt.
Und nicht zuletzt erscheint oft noch ein kleines Extra-Bild im
Bildschirm, auf dem wir parallel eine weitere Handlung verfolgen können. Er wird z. B. gezeigt wenn an anderer Stelle, etwa im Zimmer nebenan, etwas Entscheidendes passiert.
Grafik/Musik
Ich wählte automatische Ermittlung der Grafik-Einstellung. Sofort ratterte das Spiel los und begann, die Werte meines Rechners zu ermitteln mit dem Ergebnis, dass für mich die höchste Auflösung in Frage kam. Netter Versuch und die Chancen, dass es klappt, standen 1:3. Aber leider ging das Ergebnis ins Beinkleid. Denn mit der hohen Auflösung wurden etliche, entscheidende Bildelemente so gut wie gar nicht dargestellt. Erst als ich von Hand auf die niedrige Auflösung umstellte, holte ich das bestmögliche Ergebnis für meinen Rechner heraus.
Egal, Hauptsache alles läuft rund und jetzt gibt es nur noch wenige Mängel. Am nervigsten sind da noch kleine weiße Blitzer (wie das Blitzlicht einer Kamera), die permanent gerade bei Bewegungen in der dreidimensionalen Landschaft zu sehen sind und auf Dauer wirklich stören. Außerdem tauchen ab und zu ein paar überflüssige Balken und Bildelemente auf, die an der Stelle nichts zu suchen haben. Besonders hartnäckig verfolgt mich z. B. die Leuchtreklame des Cafes im ersten Kapitel, die immer wieder unvermittelt und deplaziert z. B. mitten auf der Straße erscheint, aber damit kann man leben.
Kommen wir aber nun zu einem echten Highlight, nämlich dem
wirklich brillanten Grafikstil, ein ernster, bedrückender recht realistischer Stil. Schon der beeindruckend geschnittene Introfilm mit den Großaufnahmen und tollen Negativ-Effekten überzeugt auf ganzer Linie und vermittelt eine düstere, beklemmende Atmosphäre. Die Umgebung lässt sich per Rundumsicht von jeder Seite betrachten und so manches Detail wie das Schneegestöber direkt zu Anfang sieht sehr schön aus. Immer wieder beeindrucken grafische Details, etwa die unglaublich gut und realistisch animierten Kinder, die unbekümmert um mich rumtollen und sich eine Schneeballschlacht liefern, während ich - Lucas Kane - durch einen Park laufe. Oder die flüssigen, grazilen Bewegungen, wenn Tyler mit dem Basketball spielt.
Genauso großartig ist die musikalische Umsetzung. In erster Linie fällt da
der Soundtrack auf. Die coole, durchgestylte 70th-Wohnung im Panton-Stil mit den Kugelsesseln und den freakigen Tapeten von Tyler wirkt noch mal so gut, wenn Tyler - mit der Bemerkung, dass CDs niemals eine Plattensammlung ersetzen können - erst einmal in seiner LP-Sammlung rumwühlt und eine coole Motown-Platte auflegt. Nicht ganz so meine Tasse Tee war der professionell eingespielte aber etwas wehleidige Grungesound, der nicht wirklich meinen Geschmack getroffen hat.Gesamtwertung: 85%
Fazit
Ganz großes Kino! Trotzdem habe ich mich selten so schwer getan, eine abschließende, möglichst gerechte Bewertung zu finden. Mich hat Fahrenheit in den meisten Punkten wirklich beeindruckt und überzeugt, in einigen wenigen aber auch einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen.
Was gefällt, sind Funktionen wie die Beeinflussung des Spiels durch Auswahl verschiedener Antwortmöglichkeiten bis hin zum Befindlichkeitsanzeiger, die das Spiel enorm interaktiv erscheinen lassen. Ebenfalls gefallen die unglaubliche Detailverliebtheit und die vielen Ideen und kleinen Gags, durch die Fahrenheit so lebensecht wirkt.
Ein weiteres absolutes Highlight ist die Grafik, angefangen vom wirklich
brillanten, spannend und düster-skurril in Szene gesetzten Introfilm über
die ebenso beklemmende, detaillierte und beeindruckende dreidimensionale Spielgrafik mit ihren vielen interessanten Perspektiven und die wunderbaren, lebensnahen Animationen der Figuren.
Die ungewöhnliche Art der Steuerung gefällt letztlich auch, da sie mal was anderes ist. Sie ist nach einer Anlernphase an und für sich auch nicht kompliziert, auch wenn ich dauerhaft dann doch die gute alte Point&Klick-Steuerung bevorzuge.
Und nicht zuletzt hat mich die Story mit ihren vielen überraschenden
Wendungen und freien Entscheidungen des Spielers (auch im zwischenmenschlichen Bereich) und wie diese den weiteren Spielverlauf
beeinflusst haben, begeistert ...
Der Einsatz von Actionsequenzen ist grundsätzlich auch nett und sorgt
teilweise für enorme Spannung. Was missfiel, waren die zu häufigen Zeitbegrenzungen und der teils zu hohe Schwierigkeitsgrad mancher Actionsequenz. Schließlich wählt man nicht umsonst den leichten Schwierigkeitsgrad. Zu oft war ich damit beschäftigt, hektisch an den Tasten rumzuhampeln, so dass es mir manchmal trotz der enorm spannenden Geschichte schwer fiel, richtig ins Spiel einzutauchen. So habe ich viele Situationen wieder und wieder durchexerziert. Nicht gefallen haben mir ebenfalls die allzu häufigen Game Overs.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass mich Fahrenheit überwiegend wirklich begeistert und gefesselt hat. Ich ziehe meinen Hut vor so vielen Innovationen und der sehr gelungenen Umsetzung.
Bewertungssystem Adventure-Archiv:
- 80% bis 100% sehr gutes Spiel (sehr empfehlenswert)
- 70% bis 79% gut (empfehlenswert)
- 60% bis 69% befriedigend (bedingt empfehlenswert, mit Abstrichen)
- 50% bis 59% ausreichend (nicht gerade empfehlenswert)
- 40% bis 49% ziemlich schlecht (eher abzuraten - etwas für Hardcore-Adventure-Freaks und Sammler)
- 0% bis 39% grottenschlecht (lieber die Finger davon lassen)
Systemanforderungen:
- Pentium III 800 Mhz oder ähnlich
- 128 MB RAM Video Karte: G-Force 1 oder ähnliche
- Direct X Version 8.1 oder höher
- DirectX-Soundkarte
- 2.1 GB für die Komplett-Installation oder von der DVD spielen
- Ca. 2 Megabyte pro Spieler zum Speichern
Gespielt unter:
- Win XP
- AMD Athlon XP 1800
- 512 MB RAM
- Grafikkarte Radeon 9200 Series
- DVD-Laufwerk
Festplatte 60 GB
Copyright © André für Adventure-Archiv, 06. Oktober 2005