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Evidence

Wenn der Held eines neuen Adventures ausgerechnet ein Journalist ist, dann gibt es eigentlich nur einen, der ihm zum Erfolg verhelfen kann: Klaus Trafford. Ob er‘s auch diesmal schafft?

Einer der interessantesten Filme, den ich im lezten Jahr gesehen habe - und mittlerweile noch dreimal (ungekürzt) auf Video, heißt From Dusk Till Dawn. Er beginnt als Gangsterfilm in Wild-West-Ambiente nahe der Grenze zu Mexiko: Zwei Brüder nehmen eine Geisel auf ihrer Flucht nach einem Uberfall; als diese durch die Schuld des psychopathischeren der beiden stirbt, bemächtigen sie sich eines Vaters und dessen beider jugendlichen Kinder. Dank derer Hilfe gelangen Sie über die Grenze und zum vereinbarten Treffpunkt, einer Bar, wo sie auf ihre Partner warten wollen. Doch plötzlich, ohne Vorwarnung, stellt sich heraus, daß fast alle Gäste nichts anderes als Vampire sind, und der Thriller wird zum Splatterfilm - nicht weniger interessant als die erste Hälfte, im Gegenteil.
Warum ich Ihnen das erzähle? Nun, Microids, ein französisches Label, das schon länger im Geschäft ist, aber in der letzten Zeit recht wenig von sich reden machte, hat mit Evidence ein Adventure herausgebracht, das ebenfalls mehr als ein Genre vereint. Und auch hier kommt der Wechsel ganz plötzlich - und mit ebensolchem Uberraschungsmoment wie bei besagtem Film...

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Haben Sie auch wirklich an den Autoschlüssel gedacht?

Beruf: Reporter
Es beginnt ganz harmlos: Dan Singer ist Reporter bei Channel Z, einem Fernsehsender, der es sich gerade gemütlich gemacht hat, als seine Ex-Freundin und Kollegin Sarah anruft: Sie bittet ihn, sofort in deren Apartment zu kommen, da sie hochbrisante Unterlagen besitze. Und sie müsse befürchten, daß sie in Gefahr schwebe. Dan, hilfsbereit und immer noch in die Kleine verliebt, macht sich auf den Weg, nur um festzustellen, daß das Mädchen inzwischen ermordet wurde. Durch eine Verkleidung als Monteur kommt er schließlich an dem Polizisten vorbei ins Apartment der Ermordeten. In ihrem Computer - und zwar ausgerechnet im “Papierkorb“ (auf dem holländischen Mac-Display bei Lourens steht übrigens “Prullenbak“, was im Twentschen Dialekt Mülltonne bedeutet. So viel zum Thema Softwareschrott!). Er stößt auf den Namen Alec Smith - Bezirksstaatsanwalt und Onkel Sarahs, doch auch Smith hat inzwischen das Zeitliche gesegnet.


Wetten, daß neben dem Computer noch etwas wichtiges liegt?

Spielen Sie doch krank!
Smiths letzter Aufenthaltsort war das Lake Hospital, doch als Dan dort ankommt, wird er zunächst mehrfach abgewiesen, zuletzt von zwei Sicherheitsposten sogar recht hart angepackt. Fleisch ist aber geduldig, und so wartet Dan, bis ein Lieferwagen vorfährt. Eben schnell reingehüpft, und wenig später befindet sich Dan in Zimmer 8, wo Smith gelegen hatte. Dort findet der rasende Reporter einen Zettel, den er zunächst einmal einsteckt. Er verläßt den Raum, alarmiert aus einem anderen Krankenzimmer die Schwester und eignet sich unterdessen den Generalschlüssel aus deren Zimmer an. Die Wache setzt Dan außer Gefecht, er flüchtet in den Fahrstuhl - und dann passiert das, was ich eingangs angedeutet habe: Es gibt einen völlig unerwarteten Genre-Wechsel. Aus einem Adventure mit wechselnder Perspektive wird ein Action-Ballerspiel Marke Wumm in der Ich-Perspektive!
Später, wenn man sich den Weg aus dem Krankenhaus freigeschossen hat (ja, Sie haben richtig gelesen!), nimmt das Ganze wieder adventuretypische Züge an, um im weiteren Spielverlauf noch einige Male zu mutieren - zu fast allen gängigen Genres: Beat'em-Up, Shoot'em-Up, eine Snooker-Simulation und sogar eine Autoverfolgungsjagd sind mit von der Partie. Microids nennt diese Einschübe "Realtime-Action", und genau das isses denn auch, denn wenn Sie zu lange zögern ... - Na ja, zehn Spielstände haben Sie ja. Einen solchen ungewöhnlichen Mix habe ich meinen Lebtag noch nicht gesehen, jedenfalls nicht, wenn das eigentliche Game ein Adventure ist!


In der oberern Etage ist ein Safe ...

Nicht sehr zimperlich
Die eigentliche Story, also die zu lösenden Rätsel und zu entdeckenden Geheimnisse, sind - verglichen mit Werken wie Gabriel Knight 2 oder Day of the Tentacle - so umfangreich nicht, dafür aber schön knackig und garantiert nicht so ohne weiteres und in einem Durchgang zu erledigen. Der zusätzliche Reiz und damit eine erheblich längere Spieldauer ergibt sich aus den Genre-Zutaten. Wobei, das muß man fairerweise sagen, gewisse
jugendschützer an manchen Stellen mehr als ein Auge zudrücken müssen.Wenn der Held beispielsweise am Fahrstuhl zwei Kugeln in den Rücken bekommt oder selbst zur Waffe greift und seine Gegner erledigt, ist das nicht immer jedermanns Sache.


Nett sehen die nicht aus

Andererseits gibt es derlei Szenen sogar schon bei Derrick, also was soll‘s? Im übrigen ist From Dusk Till Dawn auch (noch) nicht indiziert worden...
Bezeichnend für die Qualität des Spiels ist auch die Grafik.Wenn sich Dan in Bewegung setzt, wechselt die Ansicht in seine Perspektive und kehrt beim Betrachten eines Raumes oder eines Gegenstandes wieder in die ursprüngliche Form zurück. Schön gemacht, flüssig und vor allem nett anzusehen sind auch alle übrigen Animationen.
Allerdings ist es recht merkwürdig, daß sich Dan nach dem Gespräch mit Sarah wieder ruhig in seinen Sessel setzt. Aber gut, das ist Korinthenkackerei, und wenn man sucht, dann findet man immer ein Haar in der Suppe (gell, Frau Maueröder?).


Um 18 Uhr in Enschede ...

Warte noch ein Weilchen...
Die Hintergrundmusik, dem jeweiligen Geschehen angepaßt, die deutsche Sprachausgabe und die FX im Actiongeschehen gehen klar, ich hätte mir dann und wann allerdings etwas mehr Dialoge gewünscht. Das Multiple-Choice-Verfahren mag zwar heutzutage "in“ sein, aber wenn ich daran denke, wie viel ich damals bei lnfocom-Adventures "reden“ konnte... vielleicht hat ja ein Entwickler mal Erbarmen mit mir.
Warten ist manchmal das Stichwort bei Evidence: Nicht immer haben Sie sofort Gelegenheit, in ein bestimmtes Gebäude zu gelangen oder eine Person zu treffen. Sie können sich u.a. Ihre Zeit vertreiben, in dem Sie einfach - nichts tun (vor dem Krankenhaus oder kurze Zeit später in der Bar). Ansonsten heißt es, möglichst viel zu untersuchen, alles, was nicht niet- und nagelfest ist, mitzunehmen - später kann es von lebenswichtiger Bedeutung sein. Manche Gegenstände sind aber mit bloßem Auge nicht auszumachen, hier muß das sehr komfortable Pop-Up-Menü (es gibt deren drei) unten rechts aktiviert und eine Aktivität wie z.B. “sehen“ angewählt werden.
Das Spiel endet mit einem Bootsrennen, bei dem auch der letzte Bösewicht mitsamt seinem Gefährt in die Luft fliegt.Auch hier zeigt sich noch einmal, daß man sich bei Microids nicht nur in einem Genre auskennt. Hut ab, was man hier sieht, das ist wirklich gekonnt. Allerdings gilt auch hier: Je besser der Rechner, desto schneller die Grafik, alles klar?

Aber wie bewertet man das?
Nun kämen wir zu jenem Punkt, der mir immer wieder Kopfzerbrechen bereitet - wie bewertet man ein Spiel, das aus mehreren Games zusammengesetzt ist? Einzeln? Vergessen Sie‘s, bei meinen Rechenkünsten (siehe letzte Ausgabe) geht das schief. Nur das Adventure allein? Geht auch nicht, denn der Reiz des Ganzen ist ja gerade der beschriebene Wechsel zwischen mehreren Genres. Ich gehe in mich, lasse sechs Jahre Berufsleben als Spieletester (angeb‘, prahl!) Revue passieren - und erinnere mich der Worte von meinem alten ASM-Kumpel Hans Joachim “A-Man“ Amann, der bei BMG, dem deutschen Distributor Microids, als PR-Manager fungiert.
Wie sagte er noch am Telefon, auf seine persönliche Einschätzung hin befragt? “Das Teil müßte nach meiner Ansicht (und Achim kennt sich da aus! Echt!!) zwischen 80 und 85 Punkten bekommen." Ich zähle also alles zusammen und... tut mir leid, Achim, Du hast Dich leicht geirrt, siehe unten!

Hersteller: Microids / BMG
Preis: 99,95 Mark

Minimum:
486 DX 66, 8 MB RAM, VESA kompatible Grafikkarte, DOS oder Windows 95

Pro
Sehr knackige Rätsel
Langer Spielspaß durch Realtime-Action
Gelungene Pop-Up-Menüs
Kontra
Vergleichsweise wenige Dialoge
Spiel-/Dauerspaß: 45 von 50
Handhabung. 10 von 10
Grafik 16 von 20
Sound: 15 von 20

Total: 86

Mai 1997 PC Power

 

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