Routineprüfung. Genauso verlässlich wie der
Lohnsteuerjahresausgleich oder die Vorsorgeuntersuchung beim Zahnarzt kommt jedes Jahr
auch ein neues Carol-Reed-Adventure auf den Markt und zwar der Grundstimmung des
Spieles passend zum Herbst/Winter hin. Und im Gegensatz zu den beiden erstgenannten
Terminen ist ein neuer Teil der Serie um die englische Detektivin im schwedischen
Norköpping ein Ereignis, auf das ich schon das Jahr über erwartungsvoll hinblicke. Zumal
dieses Jahr ja leider kein Märchenadventure erschienen ist, welches sich sonst mit dem
Carol Reed-Adventure die Aufgabe teilt, mich mit ein wenig Romantik in die passende den
Herbst/Winterstimmung zu versetzten.
Handlung
Die Ausgangssituation des aktuellen Teils ist schnell erklärt:
Carols Freund Jonas macht mit seinem Bekannten Anders Borg Urlaub in Paris. Die beiden
haben eigentlich eine gute Zeit. Doch leider trübt ein Ereignis das Vergnügen. Während
des Urlaubs wurde ein Landstreicher, der sich in Anders Wohnung eingenistet hat, ermordet.
Das erfährt Carol aus einem Brief, den Jonas an Carol vom Urlaubsort aus geschickt hat.
Weiter bittet er Carol in dem Brief, sich der Sache anzunehmen und mal in Anders Wohnung
ein wenig umzuschauen. Und schon hat unsere Detektivin einen neuen Fall.
Der Titel des Spiels East Side Story" bezieht sich
übrigens auf den Osten Norköppings, auf den bei dem Spiel näher eingegangen wird. Hier
war eine Fabrik für Reißverschlüsse, welche im Spiel eine Rolle spielt, lange Zeit der
Hauptarbeitgeber. Vom Untergang der Fabrik hat sich der Stadtteil bis heute nicht erholt.
Grafik
Ich finde, auf kaum ein Adventure-Serie passt die Bezeichnung
minimalistisch" besser als auf die Reihe mit der englischen Detektivin. Wer die
Serie kennt, weiß, was das bedeutet und was einen erwartet, denn vom Design gibt es
lediglich" wieder eine Menge an Standbildern im unverkennbaren Stil, der die
Serie seit dem ersten Teil prägt und diese einzigartig und unverwechselbar macht. Die
Bilder wurden kunstvoll retouchiert. In erster Linie wurden hierzu die Farben
übersteigert, so dass das Spiel eine unwirkliche, traumhafte" Atmosphäre
bekommt. Nichts ist animiert und auch Gespräche mit Personen werden nur in einer Folge
von Bildern dargestellt.
Neben der Art der Bearbeitung sind es aber natürlich auch wieder
die Motive selbst, welche die typische Carol-Reed-Atmosphäre schaffen. Gezeigt werden
sorgsam fotografierte Impressionen der schwedische Ortschaft Norköpping. Man sieht
verträumte Gärten und Lauben, kleine Häuschen, aber auch graue Hochhäuser und deren
karge Hausflure aus den 70ern, deren ganz eigener Charme ins rechte Licht gerückt und
unterstrichen wird. Genau wie eine abgewrackte Freilichtbühne, welche durch die Graffitis
nicht unbedingt schöner wird und nicht zuletzt das stillgelegte Fabrikgelände mit all
seinem Müll und Schimmel und Sprühereien der Graffiti-Künstler". Mikael
Nyqvist, der Macher der Serie versteht es, die Ästhetik des Verfalls in Bildern
festzuhalten.
Man bekommt wieder einen intimen Einblick in die Wohnungen mit ihren
teilweise wundervoll gestylten Einrichtungen, wie z.B. Carols eigene Wohnhöhle, die in
jedem Teil etwas verändert wird. Und auch bei einigen verlassenen Orten mit den noch
vorhandenen Alltagsgegenständen wissen die beiden Macher, das Besondere in ihren Fotos
herauszuarbeiten. Dabei ist es wie immer einzigartig, wie nahe die Wohnungen dem Spieler
gebracht werden. Sie wirken fast noch bewohnt und andererseits durch die Menschenleere und
die grafische Nachbearbeitung geheimnisvoll und fremd. Jeder Raum kann genau erforscht
werden und man kommt sich so vor, als würde man in einen sehr privaten Bereich
vordringen.
So hat sie mich auch dieses Mal, nachdem ich mich durch die ersten
Bilder geklickt hatte, wieder sofort gefangen genommen, - diese spezifische Stimmung, die
typisch ist für die Carol-Reed-Adventures.
Handhabung
Die Steuerung durch das Spiel funktioniert wie gewohnt. Per linker
Maustaste steuert man Carol durch das Spiel. Das Inventar öffnet sich, wen man den Cursor
zum oberen Bildschirmrand bewegt. Die dort befindlichen Gegenstände kann man gelegentlich
auch schon einmal miteinander benutzten.
Die rechte Taste dient im aktuellen Teil einerseits, um im Inventar
einen Gegenstand zu betrachten und um einen aus dem Inventar genommenen Gegenstand wieder
zurückzulegen. Neu und nicht unbedingt vorteilhaft ist, dass man, wenn man die rechte
Taste an allen anderen Stellen außerhalb der beiden beschriebenen Möglichkeiten benutzt,
man in das Hauptmenü gelangt. Und das ist mir eigentlich ständig passiert, da man sich
sehr leicht vertun kann, wenn man etwa einen Gegenstand weglegen will. Und so habe ich
mich ständig unfreiwillig aus dem Spiel rausgeworfen. Das sollte man beim nächsten Spiel
ändern.
Auch der neueste Teil ist, was die Ausstattung anbelangt, genauso
spartanisch wie seine drei Vorgänger umgesetzt worden. Es gibt halt fast nix zu regeln,
außer Laden, Speichern und Beenden und im Endeffekt ist mehr bei dem Spiel auch nicht
nötig. Mit dem Mausrad kann man im aktuellen Teil die Musik justieren. Am Anfang des
Spiels erscheinen noch einmal einige Hinweise zur Bedienung.
Musik
Minimalistisches Spiel minimalistische Musik und fertig ist
die Lauge. Die Sounds bestehen aus einigen Tracks vom Keyboard bzw. Klavier teilweise
unterstützt von Streichern. Die Musik ist nicht nur sparsam akzentuiert, sondern auch
sehr einfach und ruhig gehalten (wobei Minimalelectro ja ganz schön vertrackt und unruhig
sein kann). Hier ist sie aber oft sehr sphärisch. Die musikalischen Grundthemen, welche
natürlich auch immer wieder das melancholische Ambiente unterstützen, sind natürlich
auch vertreten und so unentbehrlich für das Spiel wie die Titelmelodie bei Nancy Drew,
bevor man diese in den letzten Teilen sträflicherweise entsorgt hat.
Rätsel
Hier gibt es die meisten Veränderungen zu verzeichnen, denn ich
habe das Spiel schwieriger als die drei Vorgänger empfunden. Das Gebiet in East Side
Story ist weitläufiger und so ist das Spiel einerseits wieder entspannte Exploration
durch mehr Locations denn je, andererseits hat man dadurch mehr Handlungsfreiheit und es
gibt mehr Aufgaben, die während der Entdeckungstour bestens ins Spielgeschehen
eingebunden sind. Wobei die Rätsel in East Side Story auch so angelegt sind, dass man
eigenständiger kombinieren muss. So ist neben den üblichen Gegenständen, die man finden
und an gegebener Stelle benutzen muss, viel Suchen nach versteckten Orten gefragt, die wir
z.B. mittels einiger schriftlicher Hinweise finden sollen. Neu ist auch, dass wir dazu mit
einer Taschenlampe einige dunkle Orte erkunden müssen. Teilweise ist es aber etwas zu
viel des Guten bzw. zu wenig der Hinweise. Etwa, wenn wir einige Räume, die sehr
unübersichtlich sind, da wir sie nur im winzigen Kegel der Taschenlampe betrachten
können, immer wieder nach kleinen Gegenständen absuchen müssen. Manchmal hätte ich mir
etwas konkretere Vorgaben gewünscht, so dass man einen Ort nicht immer wieder erneut
durchforsten muss.
Daneben gibt es einige Hebel-, Knopf und Schalterdrückrätsel oder
ein wenig Recherche im Computerarchiv der hiesigen Bibliothek und ein paar Schriftstücke
mit Codes oder Zeichen müssen richtig gedeutet werden.
Ein Zeiträtsel bzw. eine Situation, in der man schnell reagieren
muss, ist dieses Mal auch mit dabei, wobei diese aber nicht wirklich schwierig und schnell
bewältigt ist. Meiner Meinung reicht diese Menge auch völlig aus, da ich nicht unbedingt
Freund solcher Situationen bin. Aber in solchen kleinen Häppchen als Klimax zum Schluss
lasse ich mir ein-zwei kleine Situatiönchen in der Art gerne gefallen, zumal wenn sie wie
diese nicht frustrieren.
Text und Sprachausgabe
Wenn sie bislang unsicher waren, ob ein englischsprachiges Spiel
für sie in Frage käme, da sie über nicht unbedingt gute Englischkenntnisse verfügen,
lassen sie mich an der Stelle die Gelegenheit nutzen, ein wenig dafür zu werben, es doch
einmal mit einem Spiel aus der Carol-Reed-Serie zu probieren. Ich bin auch nicht gerade
das, was man einen Englisch-Crack nennen kann, und komme mit diesem Spiel bestens zurecht.
Denn kaum ein Adventure eignet sich hierzu besser als ein Teil aus dieser Reihe. Zum einen
ist alles in mehr oder weniger einfach verständlichem Englisch gehalten, da es sich um
eine Serie handelt, deren Spielsprache Englisch nicht die Muttersprache der Autoren ist.
Zum anderen ist alles untertitelt. Nicht zuletzt gibt es auch verhältnismäßig wenige
Dialoge und die schriftliche Notizen kann man in Ruhe übersetzten.
Das Spiel ist wie gehabt mit angenehmen Stimmen eingesprochen
worden, deren oftmals schwedischem Akzent ich sehr gerne zuhöre.
Fazit
Im Prinzip gibt es nicht allzu viele Neuerungen bei der Handlung
oder dem Design - so wie etwa bei der Nancy Drew-Reihe immer wieder geschehen.
Schließlich sind wir inzwischen schon bei Folge vier und es ist bislang nicht viel mehr
passiert, als dass Carol Jonas kennen gelernt hat. Aber im beschaulichen Norrköpping
steht die Zeit halt still und auch für die Dinge des Lebens nimmt man sich auch mehr
Zeit. Und das ist auch gut so, denn zu viel Veränderung würde dieser tollen Serie auch
nicht unbedingt gut tun und ich wüsste auch nicht, was es groß zu verbessern gäbe.
Denn East Side Story ist wie bisher jeder Teil der Serie ein gutes
Beispiel dafür, dass es nicht zwingend neuester grafischer Finessen und aufwändiger
Filmsequenzen bedarf, um ein stimmungsvolles Adventure zu erstellen. Die Macher schaffen
eine tolle Stimmung mit einfachen, wenn auch wie immer kunst- und liebevoll bearbeiteten
Standbildern, ruhiger Musik und einer beschaulich erzählten Detektivgeschichte. So wird
das Spiel zu einer Zeitreise und versetzt den Spieler in eine eigentlich reale Welt, die
aber durch die kunstvolle Bearbeitung unwirklich, verträumt und zeitlos erscheint.
Etwas hat sich aber doch getan. Denn in East Side Story gibt es noch
viel mehr Orte, mehr Bilder und weitläufigere Locations als beim Vorgänger und nicht nur
dadurch ergibt sich sowohl eine deutlich längere Spielzeit als auch ein höherer
Schwierigkeitsgrad. Zumindest habe ich den aktuellen Teil um einiges schwieriger
empfunden, nicht zuletzt da die strenge Führung beim Rätseldesign etwas gelockert wurde
und man freier agieren kann. Auch wenn die Hinweise jetzt gelegentlich etwas zu knapp
sind, so das sich dadurch zuviel Sucherei ergibt, steht das der bislang nicht allzu
schwierigen Detektivreihe mit der melancholischen Grundstimmung äußerst gut zu Gesicht.
Und so gibts dieses mal eine solide