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The Road to Santiago
(El Camino de Santiago)
Entwickler/Publisher: Javier Hernández
Releasedatum: 2008Spielsprache: Englisch (oder Spanisch)
Download 173 MB
Ein Review von slydos 18. November 2008
2008 war besonders für die deutsche Fangemeinde ein fruchtbares Jahr mit Blick auf kostenlose Adventurespiele. Zu unterscheiden sind dabei Fanprojekte zu beliebten kommerziellen Adventurespielen oder -serien wie Space Quest 4,5, Baphomets Fluch 2,5, Zak McKraken 2 oder Quest for Glory 2 Remake auf der einen Seite und Adventures mit vollkommen neu erschaffenen Helden, Geschichten und Schauplätzen, wie Timanfaya oder Dirty Split auf der anderen. Zur letzten Kategorie gesellt sich in diesem Jahr ein spanisches Adventurespiel von Javier Hernandéz, das mit der Wintermute-Entwicklungsumgebung erstellt wurde, einem Programm, das auch im kommerziellen Bereich Einzug gehalten hat. El Camino de Santiago ist sowohl auf spanisch als auch auf englisch (The Road to Santiago) spielbar. Auf deutsch bedeutet der Titel "Jakobsweg".
Geschichte
In dem 3rd-Person-Adventure wird ein junger Spanier mit seinem Rucksack von Mutti auf den Jakobsweg geschickt, der spätestens seit Kerkelings "Ich bin dann mal weg!" bekannt sein sollte. Dabei lernt man zusammen mit dem jungen Mann namens Bernard Nordspanien zwischen der Provinz Navarra und dem Endpunkt Santiago de Compostela in Galizien kennen, wo das Grab des Apostels Jakobus liegen soll. Weder Bernard noch wir werden über die Hintergründe von Muttis Wunsch informiert, aber der Junge folgt voll Neugier und Aufgeschlossenheit. Es beginnt eine Wanderschaft durch Orte gespickt mit Legenden und architektonischen Meisterwerken.
Gleich am ersten Schauplatz trifft Bernard auf einen Bettler, der ihm eine Aufgabe stellt. Es wird nicht die letzte gewesen sein, denn die Treffen mit dem mysteriösen Mann wiederholen sich. Neben diesen Begegnungen müssen wir uns allerdings fast ganz allein durchschlagen. Die einsame nordspanische Fotowelt wurde im Stil der Carol-Reed-Adventures in sanften Farben nachbearbeitet. Hernandéz hat mehr als 250 Szenen erstellt, die sowohl aus Pilgersicht als auch für touristische Augen interessant sind. Es erinnert ein wenig an eine Klassenfahrt, bei der man keine Kirche auslassen darf.
Rätsel
Die Rätsel sind verbunden mit ebendiesen Kirchen, Bauwerken und touristisch interessanten Orten, zu denen es jeweils umfangreiches, bebildertes, geschichtliches Material als Zugabe und Rätselunterstützung gibt. Die farbigen Prospekte sind in englischer Sprache über eine Broschürenmappe im Inventar zugänglich, das man über das Rucksackicon in der rechten oberen Bildschirmecke erreicht. Ein Teil der Rätsel beschäftigt sich mit dem Suchen, Finden, Kombinieren und Anwenden von Objekten. Darüber hinaus hat sich der Autor eine ganze Reihe von schaffbaren Dekodieraufgaben ausgedacht. Es kommen aber auch viele andere bekannte Rätseltypen vor, wie Schiebeerätsel, Tangram, Umfüllrätsel oder Türme von Hanoi; auch scheint mir, daß die bekannte Klangfolge aus Unheimliche Begegnung der Dritten Art mittlerweile zum traditionellen Beiwerk eines Adventurespiels gehören muß. Das Soundrätsel ist mit zuschaltbarer visueller Hilfe auch für Hörbehinderte spielbar. Der Schwierigkeitsgrad der Rätsel steigt über die elf Kapitel hin an, bewegt sich aber generell im leichten bis maximal mittleren Bereich.
Wer nicht weiter weiß, kann sich über das Inventar-Handy mit der Mama des Protagonisten unterhalten, die ähnlich wie die Telefonfreunde in den Nancy-Drew-Spielen als eingebaute Hilfefunktion dient. Sie gibt einem wunderbar situationsbezogene Tipps, die den Jungen immer wieder auf den richtigen Weg führen. Manchmal hat man z.B. ein Objekt gefunden und steht unschlüssig herum, weil man nicht weiß, wie es einzusetzen ist. Ein Anruf genügt und Mami erklärt, daß man dem Weg einfach nur weiter folgen muß.
Laute Erkundung
Die Exploration eines Ortes geht immer nach dem gleichen Muster vor sich: Bernard betritt das Neuland des nächsten Schauplatzes entweder zum Anfang eines neuen Kapitels oder auch im Verlauf eines Tages, angekündigt durch schlagartig anschwellende Musik, in der Regel Vivaldis Frühlingskonzert, das übrigens auch jedesmal anschwillt, wenn er ein Rätsel gelöst hat und weitergehen kann. Dann kann er den Ort und die Gebäude untersuchen. Auch dabei wird er musikalisch begleitet durch leisere Allegros aus den Vier Jahreszeiten oder andere muntere klassische Weisen. Leider kann man die Musik nicht drosseln oder abstellen, was ich in der ständigen Wiederholung zuweilen als Vorstufe zur Folter empfunden habe. Gepaart mit der quälend langsamen Fortbewegung des Jungen und dem Zwang, immer mindestens zweimal an die vollkommen entgegengesetzten und am weitesten entfernten Orte innerhalb eines Schauplatzes laufen zu müssen, zeugt von einem Rätseldesign mit leicht sadistischem Schwerpunkt. Aber man kann ihm ein kleines Schnippchen schlagen, indem man zunächst mal die Gesamtlautstärke des Rechners runterschraubt - ah, wie angenehm! Da es keine Sprachausgabe gibt und die wenigen Geräusche auch nicht umbedingt gehört werden müssen, kommt man so schon recht unbehelligt durchs Spiel. Darüber hinaus kann man öfter mal Mutti anrufen, bevor man sich aufmacht, dem Pilgerpfad auf gut Glück zu folgen, wofür der Bub wieder elend langsam durch 4-5 Szenen trippelt und dann womöglich noch gar nicht mit der Aufgabe fertig ist. Wenn die gute Frau sagt, daß man weitergehen kann, dann ist alles o.k.. Manchmal muß man auch auf Bernards Kommentare zu bestimmten Häusern achten. Wenn er sagt, daß es sich um eine Jugendherberge oder Ähnliches handelt, dann müssen wir manchmal unseren Tag selbstständig durch die Wahl dieses Schlafplatzes beenden.
Besondere Perspektiven
Etwa im letzten Drittel werden die Schauplätze größer. Man gelangt auf Stadtpläne, die dann mehrere Bereiche zur Auswahl haben. Oder wir erleben das Terrain in einer Draufsicht auf die Grundrisse von besonders großen Gebäuden, wo unser Bernard dann glücklicherweise in den dritten Gang geschaltet wird. Daß ich nicht aufgegeben und etwa 14 Stunden mit dem Pilgerspiel verbracht habe, zeigt, daß es zumindest das Potential hat, Spieler bis zum Schluß und zur überraschenden Auflösung zu fesseln, trotz all der Ungemach durch Langsamkeit, Hin- und Hergeschicktwerdens und Musikterror. Die Idee, den Jakobsweg ohne christlichen Missionsdrang zu präsentieren, hat mir gefallen. Die Ausstattung mit einer tollen Ingame-Hilfefunktion, einer klaren Aufgabenliste und dem ergänzenden historischen Faktenwissen, das immer zugänglich ist, fällt ebenfalls in die positve Schale der Waage.
Steuerung - Blick in eine mausfreie Zukunft
Die ständige Präsenz der wichtigsten Funktionen am Bildschirm (Hauptmenü, Inventar) ist ebenfalls lobenswert und weist schon auf die spezielle, experimentelle Ausrichtung dieses Adventures hin. Der Entwickler hat es zwar auch für normale Mausbenutzer konzipiert, aber darüber hinaus die Möglichkeit eingebaut, es mit Eye-Tracking-Systemen zu spielen, d.h. mit Eingabegeräten, die durch Augenbewegungen gesteuert werden. Hierfür bekommt auch die Funktion des Free-Look-Modus überhaupt erst einen Sinn, denn man muß damit nicht mehr auf Hotspots klicken, sondern nur die Maus per Blickveränderung darüber führen, um eine Reaktion zu erhalten. Die Reaktionszeit/Verweilzeit der Augen auf einem Hotspot kann im Optionsmenü eingestellt werden und reicht von 1 bis 3 Sekunden. Sie bestimmt, ob Hotspots angesehen werden und eine Interaktion erfolgt. Mit einem Icon in der linken oberen Bildschirmecke kann zwischen dem Mouse-Over- und dem Klick-Modus gewechselt werden. Näheres zu den bisherigen Tests mit Eye-Tracking-Interfaces kann man der Readme-Datei entnehmen. Hier wird auch auf die Open-Source Blickregistrierungssysteme COGAIN hingewiesen.
Es ist erfreulich, daß der wissenschaftliche Aufwand für die Eye-Tracking-Methoden nicht nur ausschließlich in den Bereich der Marktforschung fließt, damit z.B. die Firma Google erfährt, welche Stellen in der Bildschirmdarstellung die meisten Blicke auf sich ziehen, sondern daß sich auch für ganz normale Menschen, seien sie behindert oder nicht, eine persönliche, spielerisch-unterhaltende Anwendung auftut.
Gespeichert und geladen werden Spielstände über das Menü-Icon in der linken unteren Bildschirmecke. Es gibt nur 8 Speicherplätze, die nicht selbst beschriftet werden können.
Den Download (173 MB) findet man auf der spanischen Seite ADAN, die sich ausschließlich spanischen Freeware- und Independentspielen verschrieben hat.
Fazit
The Road to Santiago ist ein umfangreiches Freewarespiel mit recht langer Spieldauer, das besonders Weltenbummler und Geschichtsfreunde ansprechen wird. Es ist ein Spiel mit echter Innovation, nämlich der Implementierung einer neuen Benutzerschnittstelle. Sollte sich die Augensteuerung irgendwann mal im Spielebereich durchsetzten, so können wir El Camino de Santiago bereits heute als Mutter der Eye-Tracking-Adventures im Familienstammbaum notieren.
Meine Gesamtbewertung: 63%
Bewertungssystem Adventure-Archiv:
- 80% bis 100% sehr gutes Spiel (sehr empfehlenswert)
- 70% bis 79% gut (empfehlenswert)
- 60% bis 69% befriedigend (bedingt empfehlenswert, mit Abstrichen)
- 50% bis 59% ausreichend (nicht gerade empfehlenswert)
- 40% bis 49% ziemlich schlecht (eher abzuraten - etwas für Hardcore-Adventure-Freaks und Sammler)
- 0% bis 39% grottenschlecht (lieber die Finger davon lassen)
Minimale Systemvoraussetzungen: nicht bekannt
gespielt mit:
- Windows XP
- Pentium IV 3,6 GHz
- 2 GB RAM
- 48x DVD-ROM
- NVidia GeForce 7600GS 256 MB
- Soundkarte DirectX-kompatibel
Copyright © slydos für Adventure-Archiv, 18. November 2008
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Wozu dienen denn diese Halterungen?
Das Inventar klappt wieder ein, wenn man die Maus zur Bildmitte führt
In der Draufsicht läuft der winzige Bernard zur Abwechslung mal schnell