Bill Tiller, der Produzent des Spiels, gehört zur
LucasArts-Mafia, wie er selbst sich und seine Ex-Kollegen bezeichnet. Seine Beiträge zu
klassischen Adventures beschränkten sich bisher auf Monkey Island 3, bei dem er an der
Erstellung der Hintergrundgrafik beteiligt war, und The Dig, für das er die Verantwortung
als Grafikchef trug. Vorher konnte er noch bei Full Throttle in die Grafikkonzeption
hineinschnuppern. Da aber jeder, der in den Credits der klassischen LucasArts Adventures
vorkommt, von der Fangemeinde als 'Halbgott' betrachtet wird, muß er bei diesem
Adventure, für das er als Chef von Autumn Moon Entertainment Verantwortung trägt, mit
vielen Vorschußlorbeeren leben und sich einer hohen Erwartungshaltung stellen.
Deshalb gleich ein Blick auf sein Spezialgebiet: die Grafik. Im
Unterschied zur karibisch-bunten, sonnigen Monkey Island-Welt hat Tiller für die
vorgerenderten 2D-Hintergründe des nächtlichen Vampiradventures eine Farbpalette
gewählt, die ihm die Möglichkeit gibt, die Dunkelheit darzustellen ohne tatsächlich
realitätsnahe, dunkle Bilder zu erzeugen, die für eine Comic-Komödie unpassend wären.
Eine Palette von mehr oder minder gesättigten Blau- und Violetttönen bildet dabei den
Grundstock, der von Braun und kalten, kräftigen Grüntönen für spezielle Szenen
komplettiert wird. Gamma-Korrektur oder Helligkeitsreglung am Monitor sind also nicht
nötig. Orange und Gelb bilden Highlights oder geben in der Mischung den vielen Räumen
dieser Previewversion, die nur in der Vampirburg spielt, jeweils eine eigene,
charakteristische Atmosphäre, ohne das Auge nur einen Moment zu langweilen. Die
Hintergründe sind liebevoll mit Details geschmückt, von denen auch viele in die
Interaktion einbezogen werden ohne gleich rätselrelevant zu sein. Daneben finden wir eine
Reihe von animierten 3D-Vordergrundobjekten, die meist in das Rätseldesign einbezogen
wurden wie z.B. Vorhänge, die sich leicht im Luftzug wiegen. Hinzu kommen sowohl
2D-Charaktere als auch 3D-Charaktere, mit denen unsere Heldin Mona Lafitte interagieren
kann. Diese Charaktere können Monster, Geister, Tiere aber auch Gegenstände sein -
Draxsylvania ist halt eine magische Gegend mit magischen Bewohnern.
Bei seiner Hauptdarstellerin Mona habe ich mich gefragt, welches
reale Vorbild diese Vampirdame mit der Eieruhrfigur wohl gehabt haben könnte. Die
Charaktere sollen als kleine Hommage an die makabren Grafiken von Edward Gorey angelehnt
sein. Möglicherweise haben die Entwickler vorher auch gerade ein paar amerikanische
Kinoklassiker angeschaut, wobei ihnen Katy Jurado aus High Noon mit ihrem kaum zu
überbietenden Schlafzimmerblick Inspiration geliefert haben könnte. Niemand, außer
vielleicht Michel Friedmann, kann ihre verschleiernden Hängelider übertreffen, die ihr
etwas Geheimnisvolles, Unberechenbares aber manchmal auch Phlegmatisches geben. Mona hat
genau das, nur in insgesamt schmalerer Silhouette und mit grünen Augen, die nur in den
Videoszenen gut sichtbar aufgerissen werden.
Ihr Charakter zeigt naivschlaue Züge, kleine sadistische
Anwandlungen, Durchtriebenheit aber auch Mitleid und Zuneigung zu Kreaturen und setzt
immer klare Prioritäten. Stimmliches Vorbild mag die oskarprämierte Judy Halliday aus
der Screwballkomödie Born Yesterday gewesen sein - jedenfalls hat Mona ein ähnlich
nervig-hohes Organ wie das durchsetzungsfähige Pseudodummchen in diesem Film, ergänzt
durch einen kleinen französischen Akzent, der ihr meist das 'TH' verbietet und ihren
Sätzen eine unamerikanische Sprachmelodie verleiht. Deutsche Spieler müssen aber keine
Angst haben, daß sie durch eine ähnliche Stimme im Stile einer Sunny Blonde im Laufe des
Spiels 'gefoltert' werden - Monas nicht geringe Textmenge wird von Celine Fontanges
ebenfalls mit leichtem französischen Akzent in wesentlich angenehmerer Stimmlage
interpretiert. Tetje Mierendorf gibt dabei ihren ständigen Begleiter Froderick, die
putzig-wirkende Fledermaus auf ihrer Schulter, den Sidekickcharakter, der mit Mona die
Zweckgemeinschaft "Wir-entkommen-nach-Paris" gebildet hat. Ihre Dialoge basieren
auf dem Prinzip der Screwballkomödien mit schnellgesprochenem Wortwitz und intelligentem
Schlagabtausch - wobei ich ehrlich auf die deutsche Übersetzung der oft unübersetzbaren
Gags gespannt bin und mich frage, wie man beispielsweise mit deutschen Mitteln dieses
hinbekommt: die akustisch-stimmliche Anspielung auf einen berüchtigten britischen
Sänger, der dafür bekannt ist, daß er gerne mal einer Fledermaus den Kopf abbeißt. (In
der Originalfassung klingt er halt auch noch wie er selber.)
In der Previewversion gab's noch einige Grafikbugs, wie zeitweiliges
Verschwinden des Spielcharakters, durch-Möbel-gehen oder ein geisterhaftes Schweben statt
animierten Laufens. Daran soll noch bis zur endgültigen Fassung gearbeitet werden. Auch
längere Wartezeiten zwischen den Szenenübergängen sind mir bei meinem eigentlich
schnellen Rechner aufgefallen. Leider konnte ich noch keine Aussage über die minimalen
Systemvoraussetzungen herausbekommen - das will man erst nach der Optimierung verraten.
Mona ist nicht freiwillig in Draxsylvania. Baron Shrowdy von Kiefer
hat sie auf die von Wasser umgebene Burg der von Kiefers entführt. Sie ist nicht die
erste Dame, der der Vampirbaron huldigt. Wir erfahren zumindest in der Previewversion
nicht, was er mit Monas Tod und ihrem Vampirstatus zu tun hat. Er hat der als
Opernsängerin ambitionierten Französin sogar ein kleines, wenn auch unbesuchtes Theater
gebaut, damit ihr die Gefangenschaft nicht so schwer fällt. Als Shrowdy durch einen
Vampirjäger in ein noch unangenehmeres Todesstadium versetzt wird, nimmt Mona die
Gelegenheit wahr, und versucht dem Gefängnis zu entkommen. Leider hat der Baron sie mit
einem Zauber belegt, der sie daran hindert, in Fledermausform über fließendes Wasser zu
fliegen. Dumm auch, da müssen wir halt eine andere Möglichkeit finden! Mit ihrem kleinen
Begleiter Froderick arbeitet sie nun hart an der Verwirklichung ihres Ziels: Rückkehr
nach Paris, um dort auf der Bühne als Operndiva zu brillieren. Wie Froderick und sie sich
kennengelernt haben, erfährt man übrigens, wenn man den kleinen Kerl mal im Inventar
interviewt.
Raffinierte Wendungen - wiederum im Screwballstil - finden wir in
der Geschichte von A Vampyre Story mehr als einmal. Das läßt einen genauso quirligen,
abwechslungsreichen zweiten Teil erwarten nachdem das Fledermausduo die Burg verlassen
hat. Der Previewteil war von mir in etwa 12 Stunden durchgespielt, was auf eine satte
Gesamtspielzeit hoffen läßt.
Dabei wird es Genreeinsteigern rätselmäßig nicht leicht gemacht,
denn es ist durchaus auch schon die eine oder andere etwas härtere Rätselnuss zu
knacken. Es überwiegen Inventar- und Objekträtsel, wobei spezielle
Inventarkombinationsrätsel ganz besonders spaßig sind - naja, sobald man sie denn
rausbekommen hat. :-) Dialog- und Logikrätsel lockern das muntere Programm ab. Viel Hin-
und Herlaufen und häufiges Wiederholen und Anhören von dann nicht mehr ganz so lustigen
Kommentaren sollten Spieler aber schon einplanen. Hierzu und für die 4 Optionen des auf
Dauer-Linksklick auftauchenden Kontextmenüs zu Hotspots sollte man sich jedoch die Zeit
nehmen und sie unbedingt ausreizen. Auch oft zunächst unsinng erscheinende Aktionen
können sich als sinnvoll herausstellen oder zumindest witzig sein. Das Aktionsmenü
läßt uns Hotspots ansehen, mit Ihnen sprechen, sie manipulieren oder mittels einer
Fledermausfunktion in sie hineinfliegen ... oder so ähnlich. Man wird schon sehen, wie
Mona das jeweils interpretiert. Oder auch Froderick, denn der gibt auch ungefragt seine
Weisheiten zu Hotspots ab. Sterben kann Mona nicht - wie auch - sie ist ja schon tot!
Froderick kann zu den verschiedensten Freundschaftsdiensten herangezogen werden - dafür
befindet er sich auch ständig im Inventar, das in Form eines aufgeklappten Sarges fast
den gesamten Bildschirm einnimmt.
Damit komme ich zu einigen nicht ganz so komfortablen Vorgängen in
diesem Point&Click-Spiel: Das Inventar öffnet sich auf Rechtsklick, schließt sich
aber nur, wenn man mit einem Gegenstand den kleinen Bereich außerhalb des Riesen-Sarges
ansteuert. Innerhalb des Inventars reagiert die Steuerung wie auch oft im Spiele
verzögert, d.h. man muß etwa 1-2 Sekunden warten, bis ein vorher ausgewählter
Gegenstand wieder abgelegt werden kann (und das nur an einer zu bestimmenden Stelle
zwischen den anderen Objekten). Man muß auch nach dem Öffnen des Inventars warten, bis
sich der Cursor rot verfärbt, was erkennen läßt, daß man nun einen der Gegenstände
aufnehmen kann.
Inventargenstände können ebenfalls durch Linksklick und -Halten
mit dem Kontextmenü untersucht und durch einfachen Linksklick aufgenommen werden. Alle
Aktionen lassen sich durch die Leertaste abkürzen, Dialogzeilen werden dadurch
abgebrochen oder Mona schnell zu einem zuvor mit der Maus markierten Bildschirmpunkt
gebeamt. Ein Rechtsklick auf einen der Szenenausgangspfeile wechselt schnell zum nächsten
angesteuerten Raum ohne daß Mona langsam dorthin schreitet, was nämlich nicht
beschleunigt werden kann. Dieser Tatbestand, und daß man die zunächst niedlichen
Animationen z.B. in Dialogen mit Froderick oder beim Fliegen abwarten muß, kann nach
einigen Wiederholungen schon nervig werden.
Oft habe ich auf einen Bildschirmpunkt mit der rechten Maustaste
geklickt und versehentlich dadurch das Bild verlassen. Daß ich dann gleich 2x einen etwas
langatmigen Szenenübergang abwarten mußte, hat mich nicht in die Hände klatschen
lassen, wie Mona es gerne tut, wenn eine Übung gelungen ist. Ich hätte mir gewünscht,
daß das Inventar auf Rechtsklick wieder zu schließen wäre, wenn man ein Objekt
ausgewählt hat. Und da man im Verlauf des Spiels immer häufiger die Abbruchtaste
benutzt, weil man Antworten und Kommentare bereits kennt, sind also ständig 2 ganze
Hände für die Steuerung notwendig, nicht gerade Topkomfort für ein
Point&Click-Adventure oder um mit Frodericks Lieblingswort zu sprechen: Lame!
Mit der Escapetaste gelangt man ins Hauptmenü, wo man schnell
seinen Spielstand mit einem Klick speichert und dann sofort das Spiel wieder aufnehmen
kann - eine der fixesten und lobenswertesten Funktionen des Spiels. Ganz vorne links
finden wir immer den letzten Speicherstand beim Laden, was genauso löblich ist.
Abgesehen von den bei der Steuerung kritisierten Punkten, die
möglicherweise noch abgeschliffen werden können, verspricht A Vampyre Story ein wirklich
amüsantes Haloweenadventure zu werden, das die ganze Familie tagelang beschäftigen kann.
Auch den LucasArts Fans wird mit diversen Anspielungen Genüge getan; glücklicherweise
nicht penetrant, so daß sich Unkundige nicht ständig fragen müssen, was das soll und
was daran denn so komisch sei. Ob das fertiggestellte Spiel sich letztlich in die Herzen
der Fans schrauben wird, hängt hauptsächlich an der deutschen Übersetzung und
Synchronisation. Eine weise Entscheidung war es schon einmal, Monas schrilles Organ zu
drosseln und eine sanftere Stimme zu wählen.
Was soll ich sagen: ich bin sehr gespannt, wie die beiden sich
weiter durchschlagen werden! Übrigens arbeiten Autumn Moon schon an einem weiteren
Abenteuer mit Mona und Froderick, was zeigt, daß die Entwickler selbst sehr
zuversichtlich sind, den richtigen Weg beschritten zuhaben.