Alone in the Dark 1 - 3

Daß es unter den Computerspielen ebensolche Klassiker gibt wie etwa bei Kinofilmen oder Fernsehserien, haben wir in unserem letzten Classic Games-Feature bereits ausführlich erörtert. Diesmal wechseln wir jedoch das Genre und wenden uns den Adventures zu. Und welcher Titel dieses Genres könnte wohl „klassischer“ sein als die Alone In The Dark-Trilogie? Martin Mirbach führt Sie in die Finsternis...


Diese Grafik revolutionierte
dereinst die Spielewelt


Wie von Lovecraft erschaffen ....

Wir schreiben das Jahr 1992. Die Berliner Mauer ist bereits seit drei Jahren niedergerissen, Bill Gates noch nicht ganz so reich wie heute und die Diskette immer noch das marktbeherrschende Speichermedium. Und es ist das Jahr von Alone In The Dark.
Die bis dato nur Insidern bekannte französische Softwareschmiede lnfogrames schickt sich an, mit diesem Titel neue Horizonte im Adventure-Bereich zu erschließen. Held der Geschichte ist Edward Carnby, seines Zeichens Privatdetektiv oder, wie Thomas Magnum es formulieren würde, Privatermittler. Doch halt: Selbst dies ist nur die halbe Wahrheit. Denn tatsächlich hat der Spieler die Möglichkeit, eine von zwei Spielfiguren zu steuern. Neben Carnby steht mit Emily Hartwood die zweite Hauptfigur der Geschichte zur Verfügung.


Nur im ersten Teil der Trilogie können Sie sich für
eine weibliche oder männliche Spielfigur entscheiden


Weiblich, ledig, jung sucht ...

Da sich letztere bei der Mehrheit der Spieler aber nicht ganz so gut durchsetzen konnte wie der männliche Part, konzentrieren wir uns im folgenden auf Carnby und widmen uns zunächst der Geschichte.
Eigentlich ist alles ganz einfach. Emily erbt von ihrem Onkel die mysteriöse Villa Dercero, hinter deren Mauern sich ein grausiges Geheimnis verbirgt, und es versteht sich wohl von selbst, daß Edward Carnby dieses Geheimnis lösen muß, sofern sich der Spieler nicht für Emily entscheidet. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden, schließlich gibt es genügend (Nachwuchs-) Spieler, die dieses Abenteuer noch vor sich haben.
Nur so viel: Maßgeblich inspiriert wurde die Geschichte von H.P. Lovecrafts Cthulhu-Zyklus, und so ist es kein Wunder, daß es in der Villa Dercero von Monstern geradezu wimmelt. Um das Spiel zu beenden, reichen die kleineren und größeren Echtzeit-Kämpfe mit solchen Monstern natürlich nicht aus. Diesen Kämpfen, die mit Faust, Bogen und Feuerwaffe geführt werden, kommt fast schon eine entspannende Funktion zu.


Da bin ich auch schon angenehmer abgeschleppt worden


Einige behaupten, nach der Weinprobe hätten sie mich tragen müssen


Müde bin ich, geh' zur Ruh


Die meiste Zeit des Spiels verbringt der Spieler mit der Suche nach Heiltränken, Schlüsseln,Tips und Munition und der Lösung einiger Rätsel. In der später erschienenen CD-Version kam mit Jack In The Dark sogar noch ein unabhängig vom Hauptprogramm spielbares Mini-Adventure hinzu. Klassisch untermalt von Haydns „Kindersinfonie“, muß der Spieler ein Kind heil aus einem wildgewordenen Horror-Spielzeugladen führen. Das eigentlich aufsehenerregende Merkmal von Alone In The Dark bestand jedoch in der für diese Zeit revolutionären Grafik. Die Kombination von Pixel- und Vektorgrafik brachte zusammen mit der freien Bewegbarkeit in einem dreidimensionalen Raum erstmals einen Hauch von Virtual Reality auf den heimischen Bildschirm.Auch die automatisch wechselnden Perspektiven entfachten Begeisterungsstürme bei den Spielern. Bei der übrigen technischen Gestaltung des Spiels wurden ebenso neue Wege eingeschlagen wie bei der Grafik. Besonders die völlig neue und kinderleicht zu handhabende Steuerung über nur sieben Tasten erfreute sich bei den meisten Spielern (und Testern) allgemeiner Beliebtheit, auf der CD-Version kamen eine verbesserte Musik und Sprachausgabe hinzu.Weniger überzeugen konnte die Qualität der Rätsel, die gemeinhin als viel zu leicht eingestuft wurde und nur ein (für den damaligen Verkaufspreis) zu kurzes Spielvergnügen zuließ.Trotzdem war die Reaktion der Fachpresse von selten erlebter Einigkeit geprägt.
Alone In The Dark war das Adventure dieser Zeit und wurde ausnahmslos mit Wertungen der Spitzenklasse bedacht.

...und der zweite folgt sogleich

Der Erfolg des ersten Teils ließ gar nichts anderes zu: Ein Jahr später stand mit Alone lnThe Dark 2 der Nachfolger in den Regalen der Händler. Die Story schließt zwar nicht unmittelbar an den ersten Teil an, trotzdem steht mit Edward Carnby wieder dieselbe Hauptfigur im Zentrum des Geschehens. Edwards Freund Ted Striker (nicht der aus dem verrückten Flugzeug) befindet sich zu Beginn der Geschichte bereits mitten in einem Entführungsfall.
Es sieht ganz danach aus, daß die achtjährige Grace Saunders einer Schmugglerbande in die Hände gefallen ist. Nachdem Edward allerdings über einen längeren Zeitraum nichts mehr von seinem Freund gehört hat, nimmt er selbst die Ermittlungen auf. Er erfährt, daß im Jahre 1724 die Seeräuberbande um One-Eyed-Jack einen Pakt mit der Voodoo-Priesterin Jarret geschlossen hat: Um ewige Jugend zu erlangen, muß alle hundert Jahre an Weihnachten ein Kind geopfert werden. Und jetzt, im Jahre 1924, soll Grace Saunders geopfert werden...
Obwohl der Geschichte diesmal statt Lovecraft-Mythen Voodoo-Legenden aus dem amerikanischen Süden zu Grunde liegen, kann die düstere Stimmung des ersten Teils mühelos wieder aufgegriffen werden. Dies mag vor allen Dingen am Wiedersehen zwischen dem Spieler und seinem „alten Bekannten" Edward Carnby, aber auch an der Ahnlichkeit der Schauplätze liegen.


Willkommen auf dem "Fliegenden Holländer"!


Das typische büro eines Schnüfflers,
da macht auch Carnby keine Ausnahme


Denn zunächst führt die Handlung des zweiten Teils den Spieler auf das Schloß „Hell's Kitchen", irgendwo zwischen L.A. und San Francisco. In diesem Gemäuer nämlich haust Jack mit seiner Bande. Worauf der Spieler verzichten muß, ist die Auswahl zwischen einer weiblichen und einer männlichen Spielfigur. Um einen Wechsel der Blickrichtung kommt er indes nicht herum.
Im Verlauf des Spiels wird Edward von Piraten verschleppt und der Spieler übernimmt die Rolle der entführten Grace. So wurde also die Wahlmöglichkeit des ersten Teils kurzerhand durch eine Wahlpflicht ersetzt - für das Spiel ergibt sich aus diesem Schachzug eine ganz besondere Note: AIs Achtjährige kann Grace natürlich nicht mit herkömmlichen Waffen umgehen, ist dafür aber kleiner und schlüpfriger.
Für den Spieler bedeutet das eine vollkommen veränderte Situation, er muß sich ganz neu orientieren. Nur wenn Grace nicht wieder von den Piraten eingefangen wird, kann sie Edward befreien. Auch ein Wechsel des Schauplatzes steht dem Spieler noch ins Haus. Sobald die Aufgaben in „Hell's Kitchen" erledigt sind, geht es in die Höhle des Löwen, auf den „Fliegenden Holländer", das Schiff der Piraten.
Doch bei Alone In The Dark 2 war es nicht allein die Geschichte, die bei den Spielern gut ankam, auch die technische Seite konnte überzeugen. Auf den ersten Blick war alles beim alten geblieben: die gleiche Engine, die gleiche Steuerung, die gleiche Grafik. Was bei der Qualität des Vorgängers allerdings ganz und gar nicht negativ zu bewerten ist, zumal die Verbesserungen sich im Detail verbargen. Sound und Musik erschienen atmosphärisch dichter, das Spiel war nun auch über einen Joystick kontrollierbar, und auch die ohnehin überzeugenden Vektorgrafikenpräsentierten sich in verbessertem Gewand. Die Geschwindigkeit bei der Berechnung der Animationen hatte sich inzwischen sogar vervierfacht. Nette Kleinigkeiten (zur Erneuerung der Lebenskraft kippt Carnby eifrig Flachmänner) kamen so besonders gut zur Geltung.
Der größte Fortschritt im Vergleich zum ersten Teil lag in der anspruchsvolleren Gestaltung der Rätsel.Wurden bei Alone In The Dark die Puzzle von einigen Testern als „Kinderkram" empfunden, so konnte man nun vereinzeltes Wehklagen vernehmen.
„So etwas ist unfair", hieß es da, oder „Mit solchen Rätseln ist lnfogrames eindeutig über das Ziel hinaus geschossen". Tatsächlich aber war nichts von beidem der Fall. Die Rätsel waren schwerer zu lösen, wirkten aber niemals unlogisch oder konstruiert. Auch wurde mangelnde Qualität keineswegs durch Quantität ersetzt, die Anzahl der Rätsel stimmte mit der des ersten Teils überein. Einziger Unterschied: An einem Wochenende war Alone In The Dark 2 nicht mehr zu bewältigen, auch ein geübter Spieler mußte mindestens 40 Stunden Spielzeit einkalkulieren. Ganz so, wie es sich für ein Spitzen-Adventure gehört.

 


"Hell's Kitchen", schöner Wohnen im Grünen


Dieser Balanceakt geht noch gut, aber dann ...

Sind aller guten Dinge drei?

Alone In The Dark 2 zählt zu den ganz wenigen Fortsetzungen, die das Original noch übertreffen So wundert es auch nicht, daß die Erwartungen an den dritten Teil der Serie immer weiter in den Himmel stiegen. Mittlerweile hatte es jedoch eine wichtige Veränderung im Hause lnfogrames gegeben. Frederic Raynal, zuständig für die Engine des Spiels, war aus der Firma ausgeschieden, um beruflich neue Wege zu gehen. Als Begründer von Adeline Software entwickelte er eine ganz neue Engine, die schließlich in Little Big Adventure für lnnovation sorgte. Konnte lnfogrames diesen Verlust verschmerzen und trotzdem mit überzeugenden technischen Neuerungen aufwarten?
Um es vorwegzunehmen: nein. Auch im dritten Teil wurde die inzwischen mehr als zwei Jahre alte Engine wiederverwendet, was viele Spieler sehr enttäuschte.
Besonders, da der dritte Teil ansonsten erneut mit einigen Verbesserungen Aufmerksamkeit erregen konnte.
Da waren zunächst die Grafiken: 270 Hintergrundbilder, allesamt mit großer Detailversessenheit handgezeichnet. Dann der Sound: schaurig-schöne Country-Songs, die die gruselige Spielatmosphäre gekonnt unterstrichen. Und schließlich die Figuren: 60 Charaktere, darunter einige exquisite Geister, die bei einer Frequenz von 94 Bildern pro Sekunde Herz und Auge des Spielers erfreuten. Mit einer zeitgemäßeren Engine hätte auch der dritte Teil der Serie zu
einer kleinen Sensation werden können. So aber wußte außer den oben genannten Features nur noch die Story zu überzeugen:
Wir befinden uns in der amerikanischen Pionierzeit. Emily, die weibliche Hauptfigur des ersten Teils, arbeitet nun bei der HollywoodFilmfirma „Hill Century".Während der Dreharbeiten zu einem Western verschwindet das gesamte Filmteam ohne jede Spur. Nur Emilys Pferd findet den Weg zurück nach Hollywood, im Sattelstaub die Nachricht: „Holt Carnby!".
Es stellt sich heraus, daß die Westernstadt „Slaughter Gulch", die dem Film als Drehort diente, auf einer indianischen Grabstätte errichtet wurde.Von den Indianern verflucht, fristen die ehemaligen Bewohner der Stadt seither als Untote ihr Dasein. Um das Filmteam, und natürlich Emity, zu retten, muß Carnby diesmal nicht nur zu allen möglichen Waffen, von der Winchester bis zum MG, greifen, sondern auch Bücher, Schlüssel und Heiltränke einsetzen.
Von einem Navajo-Medizinmann wird er außerdem zwischenzeitlich in einen Puma verwandelt. Obwohl Alone In The Dark 3 in der Presse nicht mehr ganz so gut wegkam wie seine beiden Vorgänger, war Kollege Winter seinerzeit völlig aus dem Häuschen und verpaßte dem Spiet nach eingehender Prüfung satte 89 %. Und was soll ich sagen? Der Mann hatte recht...

So weit die Geschichte von Alone In The Dark - jedenfalls bis zum heutigen Zeitpunkt. Bleibt zu hoffen, daß irgendwann einmal ein würdiger Nachfolger das Thema aufgreifen und zu neuen Höhen führen wird. Sofern dies überhaupt noch möglich ist, denn die Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache. Mit über einer Million werkauften Exemplaren gehört die Trilogie zu den meistverkauften Computerspielen überhaupt. Insgesamt konnte sie neun internationale Auszeichnungen einheimsen, darunter so prestigeträchtige Preise wie „Most Original Game'", „Best Animation" und „Game of theYear".
Und auch außerhalb der Spielszene wurde Alone In The Dark bekannt. Die gleichnamige Comic-Serie (erschienen im Splitter Verlag, Gollier Str. 16, 80339 München) mit den Zeichnungen von Suerte entwickelte sich schnell zum Kult. Ebenso wie die im gleichen Verlag erschienenen Comics zu Prisoner of Ice und Shadow of the Comet brachte sie die Thematik eines Cornputerspiels, und damit letztendlich das Spiel selbst, einer breiteren Öffentlichkeit nahe. Was will man mehr erreichen?

PC POWER AUG./SEPT. 1996

 

 

 

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